Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Die SPD kommt nicht zur Ruhe - Kommentar von Alfons Pieper
Essen (ots)
Erst auf dem Parteitag in Karlsruhe war Matthias Platzeck mit großem Beifall zum SPD-Chef gewählt worden. Das war im Dezember. Und wer über eine Ära Platzeck spekulierte, muss diesen Gedanken nach wenigen Monaten wieder verwerfen. Jetzt also führt Kurt Beck, der erfolgreiche Ministerpräsident, die Volkspartei SPD. Man muss ihm eine längere Amtszeit wünschen, damit die Partei zur Ruhe kommt.
Der Schritt von Platzeck ist mehr als verständlich. Den dringenden Rat der Ärzte, sich mehr Schonung aufzuerlegen, weil er sonst sein Leben riskiere, durfte der SPD-Politiker nicht überhören. In den Sielen zu sterben, das kann nicht der Sinn politischer Ämter sein. Wir sollten das bedenken, wenn wir die Arbeit des politischen Führungspersonals kritisieren. Mindestens einen fairen Umgang haben sie alle verdient.
Kurt Beck wird die Partei moderieren, ohne deren Führung zu vergessen. Er wird das tun auch aus der Sicht des Landesvaters. Das kann die Arbeit erleichtern. Der Mann ist bodenständig. Andererseits kann es zum Problem werden, eine Partei wie die SPD aus der Provinz zu leiten. Mainz ist nicht Berlin. Dort weht ein schärferer Wind. Platzeck hatte das schon zu spüren bekommen. Aber Becks Vorteil ist, dass er stärker in der Politik wie in der SPD verankert ist, als es Platzeck aufgrund seiner Vita sein konnte. Beck muss den Parteifreunden nichts mehr beweisen. Er ist ein gestandener Sozialdemokrat, der gerade erst die absolute Mehrheit in einem konservativ strukturierten Land wie Rheinland-Pfalz gewann. Die SPD wird auf Reformkurs bleiben müssen. Dafür steht Beck. Aber er muss mehr erreichen. Er muss die Partei für diese Politik der Moderne und des Fortschritts gewinnen. Ihre Mitglieder müssen öffentlich für diesen Kurs eintreten und sie dürfen sich nicht dafür schämen. Die SPD muss zugleich Anwalt der kleinen Leute bleiben und sich um deren Sorgen kümmern. Das Soziale muss ihr Herzensthema sein.
Ein schwieriger Weg. Die Partei hat in den Schröder-Jahren Zehntausende von Mitgliedern verloren. Sie hat den Zugang zu jungen Menschen noch nicht so gefunden, wie das Brandt einst geschafft hatte. Und zu alledem hat die SPD auch ein Führungsproblem. Es fehlen die Enkel.
Beck muss es gelingen, die Partei zu erneuern ohne die große Koalition in Berlin zu gefährden. Die Arbeit dort fängt erst an, die dicken Brocken kommen und verlangen den Menschen manches ab. Die SPD ist nicht wie die Union. Sie gibt sich nicht mit der Regierungs- Beteiligung zufrieden. Man frage Schröder. Beck wird die Programm- Arbeit für das neue Grundsatzprogramm entsprechend begleiten. Nach 2007 richtet sich der Blick auf die Wahl 2009. Die SPD, auch das zeigt Platzeck, ist gut beraten, die Kanzlerkandidaten-Frage jetzt nicht zu entscheiden. Klar ist ohnehin: An Kurt Beck kommt keiner vorbei.
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