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WAZ: Geständnisse eines Nobelpreisträgers - Kommentar von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Mit 17 war Grass ein Verblendeter. Fasziniert von
der Jugendbewegung, welche die Nazis eben auch waren, eingenommen von
der „Endsieg”-Propagandamaschine, unfähig zu einem distanzierten,
kritischen Urteil. Von Gräueltaten wollte er nichts wissen, ja er
glaubte sie nicht bis zum Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess.
Bis dahin gibt es nichts Neues zu vermelden. Neu ist, dass Grass,
beinahe 80 Jahre alt, in seiner Autobiographie einräumt, Mitglied der
Waffen-SS gewesen zu sein. Was ändert das am Grass-Bild? Weshalb hat
er geschwiegen? Was hätte es geändert, hätte er geredet? Geschichte
lässt sich nicht umschreiben, aber berechtigt ist doch die Frage, ob
er den Literatur-Nobelpreis bekommen hätte, wäre dies bekannt
gewesen. Das Nobelpreis-Komitee wertet nicht nur die literarische
Leistung von Kandidaten, sondern auch ihre moralische Integrität.
Grass sieht seine Mitgliedschaft in dieser mörderischen
Organisation, welche die Waffen-SS war, als menschlichen Makel, als
persönliche Schande. Als nobel wird man Grass' Verhalten kaum werten
können. Wie wäre seine moralisch grundierte Kritik an der
Wiedervereinigung, die er unter Hinweis auf Auschwitz ablehnte, in
der deutschen wie internationalen Öffentlichkeit aufgenommen worden,
hätte man schon Anfang der neunziger Jahre um die Biographie von
Grass gewusst? Wie seine Polemik gegen den Auftritt von Kohl und
Reagan auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg, auf dem Mitglieder der
Waffen-SS begraben liegen, also, wie FAZ-Herausgeber Schirrmacher
süffisant anmerkt, Menschen, die Grass Kameraden hätten sein können?
Wie seine noch im jüngsten Interview in der FAZ vom Samstag, Angriffe
auf die miefige, katholische Adenauer-Republik?
Bei Lichte besehen, war Grass ein Renegat. Einer, der unter
Schmerzen widerrufen musste. Der nicht nur getäuscht wurde, sondern,
jugendlich wie er war, sich auch voller Überzeugung täuschen ließ.
Dieser Lebens-Bruch hat Grass nie verlassen. Ihn hat er, grandios,
literarisch bewältigt. Aber was, wenn der typische Grasssche
Moralismus, der selbstgerechte Ton, die Unerbittlichkeit,
Gnadenlosigkeit in der Auseinandersetzung um gesellschaftspolitische
Fragen, die typisch deutschen Dinge zumal, als stete Bewältigung der
eigenen Verfehlung aus Jugendjahren gelesen werden müsste?
Womöglich hat Grass ganz einfach unter der, angesichts der
Zeitumstände, Ungeheuerlichkeit seiner Hundejahre gelitten. Und sich
ein weiteres Mal verführen lassen, diesmal zur Klitterung der eigenen
Geschichte.

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