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WAZ: Nobelpreis für Orhan Pamuk: Fantasie und Menschenrechte - Kommentar von Gudrun Norbisrath

Essen (ots)

Kaum ein Nobelpreis ist so umstritten wie der für
Literatur. Die Arbeit von Wissenschaftlern kann man messen und 
bewerten, die Vorgabe Alfred Nobels, der Preisträger solle "etwas 
Hervorragendes" für die Menschheit geleistet haben, lässt sich 
nachprüfen. Die Reihe der Literatur-Nobelpreisträger aber enthält 
Namen, die zu Recht vergessen sind. Die Dauerhaftigkeit von Literatur
lässt sich meist spät ermessen.
Hat Orhan Pamuk den Literatur-Nobelpreis verdient? Aus heutiger 
Sicht: unbedingt ja. Und zwar auch, weil er ein Demokrat und Moralist
ist. Das hat das Schwedische Komitee allerdings ausdrücklich nicht so
gesagt. Mögen die Reaktionen auch erfreut den Einsatz des Autors für 
die Menschenrechte bekräftigen (und sie tun gut daran, sie zu 
bekräftigen): Der Nobelpreis wurde ihm für Fantasie verliehen, und 
für Sinnbilder. Ein Quäntchen Politik steckt allenfalls in der 
Bemerkung, sie stünden für die Verflechtung der Kulturen.
Die Königlich-Schwedische Akademie hat die literarischen 
Verdienste Pamuks herausgestellt, und das ist gut so. Dies ist kein 
gesellschaftspolitischer Preis, und richtig bleibt, dass es weniger 
die Romane sind, in denen Pamuk seine Kritik an Politik und 
Gesellschaft scharf geäußert hat. Der Satz, der jetzt viel zitiert 
wird und ihm eine Klage einbrachte, ist in einem Interview gefallen, 
und die allerdings lapidare Überschrift "Politik kann bedrückend 
sein" findet sich in einem Essayband.
Pamuk ist ein poetischer Autor, einer, der bunte Bänder spinnt, 
Geschichten ineinander fließen und eine ganze sinnliche Welt erstehen
lässt. Dass er dabei die türkische Identität behandelt und ihre 
Auseinandersetzung mit dem Westen, dass er in mystischer Tradition 
erzählt und zugleich einen Kulturbegriff für sich reklamiert, der 
unmissverständlich auf Wissen und Respekt vor anderen beruht - er 
lässt es den Leser nicht vergessen. Das ist seine Kunst. In seiner 
Person mischen sich Literatur und Politik in vorbildlicher Weise; 
dass kritische Einsicht sich vereint mit sinnlichen, 
anspielungsreichen Texten, mit bunt ausschweifenden und 
geheimnisvollen Erzählungen, ist ein Glücksfall. Schriftsteller leben
nicht im luftleeren Raum, und selbst wenn sie es nicht wünschen, 
nehmen sie mit ihren Texten immer auch Stellung zu dem, was 
geschieht. Die Wirklichkeit erledigt das Übrige. Während das 
Preiskomitee am Donnerstag seine Entscheidung bekannt gab, 
verabschiedete die Nationalversammlung in Paris ein Gesetz, das die 
Leugnung eines Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich 
unter Strafe stellt.

Rückfragen bitte an:

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Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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