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WAZ: Verheugens Vorstoß EU-Bürokratie braucht Kontrolle - Kommentar von Tobias Blasius

Essen (ots)

Eigentlich, so sollte man meinen, müsste  sich
Günter Verheugen im Zenit seiner Macht wähnen. Der 62-Jährige steht 
als Vizepräsident der Europäischen Kommission einem Riesenapparat 
vor, der mehr als 20 000 vorwiegend glänzend ausgebildete Beamte 
zählt und die Gesetzgebung in 25 souveränen Staaten entscheidend 
prägt. Doch Verheugen hat dieser Tage seine Ohnmacht gegenüber dem 
Eigenleben der Brüsseler Gesetzgebungsmaschine eingeräumt. Wie ein 
"Hausbesetzer" komme er sich vor, der ein Gutteil seiner Arbeitszeit 
in die Überwachung von störrischen Behördenmitarbeitern stecke. 
Richtlinienkompetenz klingt anders.
Dass ein langgedienter Profi wie Verheugen, der in FDP und SPD 
den politischen Nahkampf gelernt hat, derart schonungslos sein 
Durchsetzungsproblem an die Öffentlichkeit trägt, zeigt die Dimension
eines bislang unterschätzten Demokratiedefizits. Im Bauplan der 
EU-Bürokratie gibt es einen schwerwiegenden Konstruktionsfehler: Das 
politische Gremium der 25 EU-Kommissare, das alle fünf Jahre aus den 
Mitgliedsstaaten entsandt wird, hat nur einen unzureichenden 
Durchgriff auf das Heer der Brüsseler Beamten. Anders als ein 
Bundesminister in Berlin, der Leitung und Schlüsselstellen seines 
Hauses vergleichsweise leicht auswechseln kann, sind Kommissare ihren
"Generaldirektionen" genannten Stäben praktisch ausgeliefert. Dort 
herrscht nicht selten der Korpsgeist einer vielsprachigen, bestens 
vernetzten Bürokratenelite. Diese nimmt für sich in Anspruch, selbst 
am besten zu wissen, was gut ist für 450 Millionen EU-Bürger.
Verheugen hat diesen Missstand, den bislang mit Rücksicht auf das
ohnehin brüchige supranationale Fundament des Europa-Betriebs niemand
recht thematisieren wollte, als Erster öffentlich gemacht. Er 
trachtet nach politischer Kontrolle und Gestaltungskraft und damit 
auch nach klar zuweisbarer Verantwortung für EU-Gesetze. Dies ist 
auch im Sinne der Bürger. "Die in Brüssel" soll nicht länger Chiffre 
sein für scheinbar dunkle Mächte, die Richtlinien und Verordnungen 
produzieren, die am Ende niemand in die Welt gesetzt haben will.
Der deutsche Kommissar zahlt schon jetzt einen hohen Preis für 
seinen Vorstoß. Urlaubsfotos und Gerüchte über sein Privatleben 
werden plötzlich lanciert, stereotype Vorwürfe vom "Verrat" an der 
hehren Europaidee laut, alte Rechnungen beglichen. In diesem medialen
Trommelwirbel gerät das eigentliche Problem der fehlenden Verzahnung 
von Politik und EU-Bürokratie aus dem Blick. Das ist ärgerlich.

Rückfragen bitte an:

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Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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