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WAZ: Anlässlich eines Jahrestages: Unsere Regierung? Wir sind das Problem - Kommentar von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Nur, weil in diesen Tagen wieder so viele senden und
schreiben, die Große Koalition sei Mist, und dabei nicht einmal 
falsch liegen, weil: wieso sollte eine Regierung gut sein, die 
niemand wollte, nicht einmal diese Regierung wollte sich doch selbst,
nur darum also und wegen des nahen Jahrestages dieser Veranstaltung, 
einige ungeordnete Gedanken zur Relativierung der übellaunigen 
Schlechtrechnerei.
Gänzlich falsch ist der Eindruck, es werde nicht regiert, und die
Regierung gehöre abgelöst, weil, wer auf Steuerzahlerkosten nichts 
tut, ohne Zweifel überbezahlt ist. Die Regierung regiert. Sie 
reformiert den Föderalismus, lässt die ohnehin immer älter werdenden 
Leute folgerichtig arbeiten, bis sie 67 Jahre alt sind (manche 
meckern: sie kürzt die Renten), großzügig mit dem Geld anderer Leute 
spendiert sie ein kleines Konjunkturprogramm und das Elterngeld, 
therapiert das Gesundheitswesen (man weiß noch nicht, ob es davon 
gesundet, das Krankheitswesen), besteuert den Mehrwert der Dinge 
höher und plant sogar, den Unternehmen weiter zu helfen, 
international wettbewerbsfähiger zu werden, wovon Beschäftigte dann 
vielleicht auch noch profitieren oder eben auch nicht. Und Atomkraft 
bleibt weiter pfui, wohingegen Gas von Putin gerne genommen wird, 
jedenfalls solange, wie er geruht, auf die Erpressung unsererseits zu
verzichten. Unterm Strich wird ergo niemand behaupten können, es 
laufe alles schlecht.
Die Regierung hat im Grunde nur wenige Probleme. Ihr größtes 
allerdings sind wir, also das Volk. Im Grunde leidet die Regierung an
der urdeutschen Lust, Zeuge des eigenen Untergangs zu werden. Weil 
Deutsche seelenmäßig irgendwie und irgendwo zwischen Melancholie und 
Masochismus angesiedelt sind, haben sie die Fussball-WM vergessen. 
Sie war auch, bei Lichte besehen, in ihrer ganzen undifferenzierten 
Begeistungsfähigkeit doch eher undeutsch. Und was sollte Regieren 
auch zu tun haben mit einem, der Geschichte nach, englischen 
Proletariersport?
Das Problem mit der sich selbst tragenden Melancholie heißt 
derzeit: Aufschwung. Aber erstens dauert der ganz bestimmt nicht mehr
so superlange, und zweitens geht er auf Schröder zurück, hat also 
nachgewiesenermaßen mit der Großen Koalition nichts zu tun. (Außerdem
ist Schröder jetzt ein Russe. Oder ein Schweizer, je nachdem, 
jedenfalls so richtig keiner mehr von uns.) Will sagen, bezüglich des
verbreiteten Schlechtredens der derzeitigen Koalition: Eine 
Regierung, von der wir glauben, sie sei schlecht, kann gut nicht 
sein. Basta.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
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Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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