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WAZ: Ein Jahr Kanzlerin Merkel: Es gibt auch positive Zeichen - Kommentar von Angela Gareis

Essen (ots)

Man erinnert sich an Gerhard Schröder, wie er am
Abend der Bundestagswahl in die Wohnzimmer der Republik höhnte: "Die 
sagt, sie will Bundeskanzlerin werden. Ich meine, wir müssen die 
Kirche im Dorf lassen." Angela Merkel ist nun ein Jahr lang 
Bundeskanzlerin, und die Kirche ist im Dorf geblieben. Die Illusionen
über die Möglichkeiten dieser Koalition sind verbraucht, wozu drei 
Enttäuschungen beigetragen haben.
Bürger hatten gehofft, die Volksparteien würden sich vertragen, 
um das Land auf Vordermann zu bringen. Vorgeführt wurde ihnen Streit 
um das letzte Detail, was den Glauben an größere Ziele erschütterte. 
Bürger hatten sich auf das Versprechen verlassen, Reformen würden 
mehr als zehn Jahre halten. Inzwischen wissen sie, dass mit einer 
anderen Koalition alles anders wird, dass Leben in Deutschland ein 
ewiges Reformdasein zu werden droht. Bürger hatten auch gedacht, die 
branchenübliche Profilierungssucht sei für vier Jahre vorbei, doch 
Jürgen Rüttgers beweist, dass man sogar mit dem Schicksal von 
Arbeitslosen sein Image aufmöbeln kann.
Es gibt aber auch positive Anzeichen, denn an Rüttgers wird 
deutlich, dass die Politik beginnt, den Wählern hinterherzulaufen, 
was nicht immer schön aussieht, aber ein zunehmendes Interesse an der
Politikverdrossenheit spiegelt. Über die schlechten Umfragewerte 
transportieren Menschen Fragen in die politische Parallelwelt: Was 
wollen Bürger? Wollen sie bloß für eine Globalisierung trainiert 
werden, die von seelenlosen Finanzmärkten beherrscht wird? Wollen sie
Wachstum um des Geldes willen, oder erkennen sie Fortschritt in einer
solidarischen Gesellschaft, in der niemand auf der Strecke bleibt?
Vom Leben in den Ecken Deutschlands ahnen sehr viele Politiker 
nur sehr wenig. Aber Bürger, die einem alltäglicheren Broterwerb 
nachgehen, sehen, dass der Weg dorthin nicht weit ist. Dass eine 
gelungene Erbschaftsteuerreform (so wichtig sie ist) Menschen vor dem
Abstieg bewahren kann, werden viele bezweifeln. Deshalb ist es gut, 
dass ein Jahr Große Koalition eine große Sozialdebatte hervorgebracht
hat. Vielleicht haben die Koalitionäre in diesem Jahr mit Kevin, 
Bastian, Häftlingsmord, Totenschädeln und Opernstreit auch eine 
Illusion verloren: dass nämlich sie, die besser Gebildeten und besser
Verdienenden, repräsentativ für Deutschland seien. Im besten Fall 
wenden sie sich Kirchen in Dörfern und den dazugehörigen Menschen zu.
Die aktuelle Diskussion über Kinderbetreuung ist kein schlechter 
Anfang.

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Rückfragen bitte an:
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Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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