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WAZ: Horst Köhler und die anderen: Ein Sonderling - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Weshalb eigentlich regen sich immerhin
Spitzenpolitiker der Großen Koalition derart auf über den 
Präsidenten?
Berliner Politik heißt derzeit: Nichts ist pur, alles ist 
Kompromiss. Nie geht es nur um die Sache, stets auch um 
Partei-Interessen. Eine Linie gibt es nicht, es regiert das Zickzack,
wie zuletzt auf dem CDU-Parteitag, als man einen linken und einen 
rechten Antrag beschloss. Es fehlt die Konsistenz: Über das 
Rauchverbot hätte man auch im Rahmen der Gesundheitsreform reden 
können. Über Verantwortung dem Volk gegenüber wird so gut wie gar 
nicht reflektiert, dafür blumig, aber folgenlos von "Werten" 
gesprochen. Bezüglich der Bildung geht es Deutschland nicht gut, das 
Arbeitslosenproblem ist von einer Lösung weit entfernt, und die 
Integration ist auch nicht so recht gelungen. Wer hat von den 
Politikern, besonders jenen, die schon Jahre oder Jahrzehnte im 
Parlament sitzen, zu der derartigen Problemlast welchen "Beitrag" 
geleistet? Bei alledem gilt auch: Regieren geht heute angesichts der 
globalisierten Problemlast so schnell wie noch nie, und es ist 
richtig anstrengend. Hat es dann die Koalition einmal geschafft, dann
kommt, sozusagen von der Seite, völlig unerwartet und gleichsam wie 
Kai aus der Kiste der Bundespräsident und sagt: Setzen, sechs. Noch 
mal neu.
So schafft man sich keine Freunde. Allerdings: Wo spielt sich das
Missverständnis ab: bei Köhler oder bei seinen Gegnern?
Es gibt einiges, was Köhler von seinen Gegnern unterscheidet. Er 
ist kein Berufspolitiker, sondern war Spitzenbeamter. Er ist 
welterfahren, weil er viel herumgekommen ist. Und er ist ein 
Pflichtmensch durch und durch. Das Kompromisslerische, auch der 
unsaubere, aber typische "Deal" (tausche Agrarsubvention gegen 
Steuer-Erhöhung) liegt ihm nicht, das findet er, darin jedoch im 
Einklang mit dem gesamten deutschen Volk, einfach nur schrecklich. 
Wenn er ein Gesetz ablehnt, dann nicht, weil er sich dadurch 
profilieren will, sondern weil er es für verfassungswidrig hält. 
Parteipolitik funktioniert hier genau andersherum: erst das Profil, 
dann die Sache. Typisch Parteipolitik ist etwa der Glaube, Köhler 
habe jetzt zwei Gesetze abgelehnt, ein drittes Mal werde er sich 
nicht trauen. Wer so denkt, hat diesen Mann nicht verstanden: Der 
würde - um der Sache willen - nicht nur ein drittes, sondern auch 
viertes und fünftes Mal einschreiten. Köhler will ehrlich sein und 
gradlinig, für ihn ist nicht alles relativ, je nachdem, wer mit wem 
gerade was aushandelt. Darum fremdelt dieser Sonderling mit dem 
Polit-Establishment. Für Deutschland muss das nicht schlecht sein.

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