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WAZ: Es gibt nicht nur Sozial-Reformen Die Regierung und der Kapitalismus - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Die Bundesregierung werkelt am Kapitalismus. Das ist
schon darum eine Nachricht, weil es außer einem Fachpublikum kaum 
jemand weiß. Das muss man der Regierung Merkel anlasten. Sie ist 
gerade dabei, den Kernfehler der Regierung Schröder zu wiederholen, 
die Ziele ihrer Politik nicht klar und öffentlich zu erläutern und 
die einzelnen Schritte in einen nachvollziehbaren Zusammenhang zu 
stellen.
Dabei ist das Thema enorm wichtig. So will die Regierung in 
Berlin Hedge-Fonds stärker kontrollieren. Von denen gibt es weltweit 
circa 9000, und sie verwalten mindestens 1,3 Billionen US-Dollar, 
vielleicht, folgt man dem Bundesfinanzministerium, auch knapp fünf 
Billionen. Hedge-Fonds, das sind häufig jene Finanzinvestoren, die 
für das schnelle Geld Unternehmen gerne auch zerschlagen und darum 
von Müntefering Heuschrecken getauft wurden. Hedge-Fonds 
revolutionieren die Spielregeln des Kapitalismus, verschieben sie von
der langfristigen Mehrung des Firmenwertes in Richtung 
Rendite-Maximierung, der alle anderen Ziele, etwa die Zufriedenheit 
und damit die nachhaltige Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter, 
untergeordnet werden. Eine Abstimmung darüber, ob Gesellschaften dies
für wünschenswert halten oder eben nicht, findet nicht statt, denn 
Hedge-Fonds entziehen sich erfolgreich politischer Kontrolle. Hier 
anzusetzen, ist nicht nur politisch, sondern auch moralisch geboten. 
Nur: Mit einer Meldepflicht für Hedge-Fonds kann es da nicht getan 
sein. So bescheiden sollte die Regierung nicht sein. Erklären müsste 
sie zudem, wie eine steuerliche Entlastung der (inzwischen klotzig 
verdienenden) Firmen von fünf Milliarden Euro dazu passt. Passt sie 
überhaupt dazu?
Sinnvoll ist es, wenn die Regierung das Aktienrecht so 
umschreiben will, dass Vorstandschefs untersagt wird, direkt 
Aufsichtsratsvorsitzende zu werden. Bemerkenswert, wenn gerade die 
Partei Erhards, die Union, hier auf einen Riesenstreit mit nahezu der
gesamten Wirtschaftselite zusteuert. Eine Reform wäre aber richtig: 
Weshalb sollten Aufsichtsratschefs die Fehler herausfinden und 
korrigieren können, die sie als Unternehmensführer unmittelbar vorher
selbst begangen haben (von Pierer bei Siemens, Piëch bei VW)? In 
Planung ist außerdem eine steuerliche Förderung von 
Unternehmensbeteiligungen (Investivlohn), worüber man durchaus 
streiten kann.
Hedge-Fornds kontrollieren, Vorstand und Aufsichtsrat 
entflechten, Investivlohn einführen, man ahnt die neue Richtung. Aber
alles findet ohne Erklärung, ohne große Debatte statt. Ist das etwa 
gewollt?

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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