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WAZ: Gewaltwelle erschüttert den Irak: Das Ende des Einheitsstaates - Leitartikel von Markus Günther

Essen (ots)

Für die Gewalt im Irak gibt es keine angemessenen
Worte mehr. Die Sprache, die diese Gewalt zu beschreiben versucht, 
hat sich in fast vier Jahren Krieg längst abgenutzt. Was bleibt, sind
alltägliche Nachrichten, die mit leidenschaftsloser Chronistenpflicht
übermittelt werden: Am Samstag 135 Tote bei einem Selbstmordanschlag 
auf einem Markt in Bagdad, dutzende weitere Tote in anderen Städten.
Die meisten Toten sind Opfer des sich ausweitenden Bürgerkrieges 
zwischen Schiiten und Sunniten. Deshalb ist es unsinnig zu glauben, 
die US-Truppen könnten - und sei es mit 21 000 Mann Verstärkung, wie 
Bush meint - die Gewalt im Irak in den Griff bekommen. Die USA können
diesen Krieg nicht mehr gewinnen, weil es - nicht ausschließlich, 
aber doch in immer größerem Maße - ein Bürgerkrieg ist, bei dem die 
Amerikaner zwar nicht Partei sind, aber auch nicht zum Schlichter 
taugen. Als Besatzer verhasst und somit selbst Ziel vieler Angriffe, 
fügen sie der Spirale der Gewalt nur eine weitere Windung hinzu.
Gibt es überhaupt ein Mittel gegen diese Gewalt? Eine Idee 
verdient jedenfalls mehr Beachtung, als sie bislang bekommt: 
Vielleicht ist eine Auflösung des künstlich entstandenen irakischen 
Einheitsstaates in zwei, vermutlich drei neue Staaten die einzige 
Lösung.
Vieles daran ist sicher problematisch. Vor allem der unabhängige 
kurdische Staat im Norden, der dabei entstehen könnte, wäre 
schlimmstenfalls die Keimzelle für neue Kriege, wenn der Kurdenstaat 
die kurdische Minderheit in der Türkei anzieht. Und auch die 
schiitischen und sunnitischen Teile des Irak stünden sicher in 
spannungsvollen Beziehungen zu den regionalen Nachbarn mit ihren 
unterschiedlichen Interessen. Der schiitische Teil etwa würde wohl 
unvermeidlich ein enger Verbündeter des Iran und würde dessen 
regionale Position noch stärken. Und schließlich: Allein die 
territoriale Aufteilung des Irak wäre wegen der Ölvorkommen und der 
ethnischen Zusammensetzung gerade der großen Städte äußerst 
schwierig.
Patentlösungen gibt es im Irak nicht. Aber in dem Maße, in dem 
sich die Einsicht durchsetzt, dass der Aufbau eines neuen 
demokratischen Staates in den bisherigen Grenzen vor allem daran 
scheitert, dass die meisten Iraker einen solchen Staat gar nicht 
wollen, muss auch über bislang tabuisierte Ideen nachgedacht werden. 
Alles, was die Hoffnung in sich birgt, die Gewalt im Irak beenden zu 
können, verdient es, ernst genommen zu werden.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Thomas Kloß
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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