Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Die Lage der Ruhrwirtschaft: Vom Klotz zum Zugpferd - Leitartikel von Stefan Schulte
Essen (ots)
Der Bericht zur Lage des Ruhrgebiets war zuletzt eine Veranstaltung von eher depressivem Potenzial: Während der Wirtschaftskrise ging es uns im Revier noch schlechter als den anderen Regionen, als sich im Rheinland die Trendwende abzeichnete, brachen hier noch immer die Stellen zu Zehntausenden weg und als der Aufschwung vor einem Jahr endlich da war, zog das Ruhrgebiet das ansonsten bereits prosperierende NRW noch mit nach unten.
So gesehen hat die Landesregierung Glück, dass der Kohleausstieg in eine Zeit fällt, da sich der Wind an der Ruhr dreht. Wie ließen sich gestrichene Subventionen besser rechtfertigen als mit dem Verweis auf gesunde Industriezweige. Dass es durchaus noch industrielle Arbeitsplätze mit Zukunft gibt, ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis, die sich aus den vielen schönen Konjunkturzahlen dieser Tage herausfiltern lässt.
Doch Obacht: Wenn sich das Ruhrgebiet binnen Jahresfrist vom nordrhein-westfälischen Klotz am Bein zum Zugpferd gemausert hat, sagt das vor allem etwas über die Anfälligkeit für konjunkturelle Schwankungen aus. Die ist im Revier größer, weil es hier zu wenige krisenfeste High-Tech-Jobs gibt und überdurchschnittlich viele, die direkt von der Konjunktur abhängen. Die Erkenntnis, dass die industriellen Arbeitsplätze weder heute noch künftig allein durch Dienstleistungs-Jobs ersetzt werden können, kann man deshalb auch als Gefahr deuten. Kein neues Pflegeheim und keine neue Marketing-Gesellschaft kann die nächste Industrieflaute auffangen.
Der rasche Umschwung ist auch Spiegelbild einer veränderten Beschäftigungs-Struktur. In guten Zeiten stellen die Betriebe schneller ein. Allerdings setzen sie immer mehr auf Leiharbeiter. Bleiben die Aufträge aus, fallen auch diese Stellen wieder weg - viel schneller als in jenen Zeiten, da Flächentarife noch flächendeckend galten.
Der Arbeitsmarkt wird schneller, die Jobdauer kürzer. Das kann man bejammern, besser wäre es, sich darauf einzustellen. Sicher sind vor allem hochqualifizierte Tätigkeiten. Dass wir davon zu wenige haben, ist angesichts der beispiellosen Hochschuldichte eine Katastrophe. Viele, die an unseren Unis ausgebildet wurden, finden gute Jobs - im Rheinland oder in Süddeutschland. Im Umfeld der Hochschulen passiert noch immer zu wenig, auch wenn es sehr gute Ansätze gibt, etwa am IT-Standort Dortmund. Mehr Geld in Forschung und Entwicklung zu investieren, muss daher erste Priorität des Landes sein. Jetzt, und nicht erst 2015, wenn die Kohlegelder frei werden.
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