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WAZ: Auf Lebenslüge folgt Unehrlichkeit: Die Union steckt im Kulturkampf - Leitartikel von Hendrik Groth

Essen (ots)

Mit "Opposition ist Mist" wollte Franz Müntefering
seinen Parteifreunden klar machen, worum es in der Politik geht und 
warum man überhaupt Politik macht. Oder ganz kurz: Man braucht Macht,
um gestalten zu können. Für die Union könnte dieser Hinweis 
mittlerweile auch hilfreich sein, allerdings leicht abgewandelt: Hat 
man die Macht, muss man auch gestalten können.
Jürgen Rüttgers hat mit den "Lebenslügen", von denen die CDU 
Abschied zu nehmen habe, verdeutlicht, dass es bei den 
Christdemokraten Nachholbedarf gibt. Oppositionszeiten können eben 
auch den Blick auf notwendige Debatten in einer sich verändernden 
Gesellschaft verbauen. Der alltägliche Angriff auf den Gegner 
suggeriert zu Unrecht programmatische Sicherheit in den eigenen 
Reihen. Jahrelang haben die Christdemokraten in der Opposition über 
Rot-Grün gefeixt, häufig nicht grundlos handwerkliche Mängel 
kritisiert. Aber wenigstens wusste Rot-Grün in den Grundzügen, wo man
hin wollte.
Jetzt hat die Union den Richtungsstreit, der vergleichbar mit den
Konflikten ist, die in der SPD wegen der Agenda 2010 ausgebrochen 
waren. Die Definition der sozialen Gerechtigkeit ist für 
Sozialdemokraten wahrscheinlich der wichtigste Pfeiler in ihrer 
Programmatik. Darüber zu diskutieren, kann und konnte nicht 
emotionslos ablaufen. Für die Union ist ein solcher Pfeiler das 
Familienbild und wie vor kurzem in der SPD spielt sich nun bei 
CDU/CSU ein Kulturkampf ab.
Jahrzehntelang christlich und konservativ geprägt, war die 
Rollenverteilung innerhalb der Familie klar. Männer wie Heiner 
Geißler holten sich in den 80er Jahren blutige Nasen, wenn es darum 
ging, Familie und Beruf leichter zu vereinbaren. Jetzt macht 
Familienministerin Ursula von der Leyen ernst und verlangt deutlich 
mehr Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren. Beistand kommt von 
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff. "Unehrlich" sei die
Haltung dazu bislang in der Union. Mit anderen Worten: eine 
Lebenslüge.
Die Parteiführung hat sich mehrheitlich hinter die Ministerin 
gestellt. Doch an der Basis rumort es wegen diverser 
Richtungswechsel, nicht nur wegen der Familienpolitik. Denn gerade 
bei Konservativen klingt Krippe häufig wie DDR, Krippe bedeutet hier 
Zwang, Krippe stellt Staat vor Familie. Hinweise, ein Krippenplatz 
sei nur ein Angebot, werden allenfalls misstrauisch zur Kenntnis 
genommen. Die Zeit der Auseinandersetzungen ist gekommen.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Thomas Kloß
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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