Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Mehr rechtsextremistische Taten: Das braune Netzwerk wächst - Leitartikel von Rolf Potthoff
Essen (ots)
Traurig und leichtfertig, aber Tatsache: Dass der Rechtsextremismus in unserem Land lebt, wird der breiten Mehrheit erst dann wieder bewusst, wenn furchtbare Verbrechen wie die Morde von Solingen fassungslos machen. Dann flutet eine Woge der "Abscheu und Empörung" durch die Nation. Doch wenig später kehrt Ruhe ein, als sei das Schreckliche nichts anderes als nur ein vorübergehender, einmaliger Spuk.
Der Rechtsextremismus liebt diese Ruhe. Es ist die Zeit, in der er sich unauffällig ausbreiten kann. Er pflanzt sein geistiges Gift nicht nur in kahle Schädel Nazi-Parolen-grölender Schläger, sondern auch in die Köpfe frustrierter, nach Orientierung suchender junger Leute. Selbst in die bürgerliche Welt dringt er ein. In Zeiten sozialer Ungewissheiten ist mit populistischer Propaganda, Ausgrenzung und Ablehnung Fremder leicht Stimmung zu machen.
Und das Werk trägt Früchte. Drei Viertel aller politisch motivierten Straftaten in NRW sind rechtsextremistisch. Davon machen Propagandadelikte und Volksverhetzung zwar den Großteil aus. Aber auch die rechte Gewalt nahm zu - fast alles Körperverletzungen, vor allem aus Fremdenfeindlichkeit, Hass. Allerdings - diese Täter denken in der Mehrheit zwar braun-extremistisch, gehörten jedoch nur selten rechtsextremistischen Organisationen an.
Denn die sind "klüger" - und gesellschaftlich eine ungleich größere Gefahr. Solche Parteien oder Kameradschaften verfolgen die Taktik, nicht mit Straftaten aufzufallen. Unter dem Deckmantel biederer Bürgerlichkeit, als Lokalpatrioten versuchen sie, sich in Bürgerinitiativen und Vereinen einzunisten. Ihr Ziel ist es, in die Rathäuser und dann in den Landtag zu ziehen.
Dies gilt es zu verhindern. Doch wie? Rituale wie "Flagge zeigen gegen rechts" sind wichtig, aufrichtig gemeint und mögen politische und Herzensangelegenheit sein. Doch die Gefahr ist, sie stumpfen allmählich ab. Wichtiger ist, die etablierten Parteien aus einer verbreiteten Oberflächlichkeit, zu oft auch Gleichgültigkeit zu rütteln. Die Rechtsextremisten sind dabei, ihre im Osten erfolgreichen politischen Rezepte im Westen zu kopieren: Sie kümmern sich um Sorgen und Nöte von Bürgern, dienen sich ihnen als "Versteher" und Helfer an.
Aber genau das ist es, was die demokratische Politik und gerade die vor Ort, in den Städten, zu leisten hätte: Ansprechpartner der Menschen zu sein und dies glaubhaft mit Taten zu beweisen. Dort, wo sie es sind, wird kaum braunes Kraut wachsen.
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