Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Sarkozy ist der klare Wahlsieger: Frankreich braucht den Umbruch - Leitartikel von Joachim Rogge
Essen (ots)
Ein Sieg mit Vorankündigung. Zweifel hatte schon nach dem ersten Wahlgang kaum noch jemand, dass Frankreichs nächster Präsident Nicolas Sarkozy heißt.
Das klare Ergebnis ist ein massiver Vertrauensschub für Sarkozys Präsidentschaft. Eine große Mehrheit der Franzosen traut ihm weit mehr als Ségolène Royal zu, das Land nach den Stagnationsjahren der Ära Chirac aus seiner Erstarrung zu führen. Vor allem ein zupackendes Macher-Image, das einst schon Blair und Schröder ins Amt verhalf, überzeugte viele Wähler, Sarkozys Reformversprechen beim Wort zu nehmen.
Als grundsätzliche Absage, eine Frau in den Élysée zu schicken, ist das Ergebnis indes nicht zu werten. Viele Sympathien, viel an Statur hat Ségolène Royal im Verlauf des langen Wahlkampfs gewonnen. Dass es am Ende nicht reichte, hing schlicht mit Sarkozys Dominanz und einem in sich schlüssigeren politischen Angebot zusammen. Die neuerliche Rekord-Wahlbeteiligung belegte überdies das wiedererwachte politische Interesse der Franzosen.
Baustellen ohne Ende türmen sich im Kastenland Frankreich vor dem neuen Staatsoberhaupt auf. Vor zwölf Jahren war Chirac, ein Gaullist, dessen Herz politisch links schlug, angetreten, den "sozialen Bruch" zu kitten. Heute ist dieser Riss tiefer denn je. 3,7 Millionen Franzosen leben in Armut, jeder sechste Arbeitnehmer muss mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 1250 Euro brutto auskommen. Das großzügige Gesundheitssystem ist ein hoch defizitäres Milliardengrab. Und bei der Arbeitslosigkeit bildet Frankreich mit Spanien und Griechenland das europäische Schlusslicht.
Längst zementiert Frankreichs soziales Modell, auf das die Nation lange Zeit so stolz war, krasse soziale Ungerechtigkeit, privilegiert das Millionenheer der Beamten und Arbeitsplatzbesitzer in der privaten Wirtschaft, grenzt Junge und Einwanderer aber in krasser Weise aus. Mit dem Wahlschub im Rücken - und einen Sieg des konservativen Lagers bei den Parlamentswahlen im Juni vorausgesetzt - hat der unumstritten starke Mann der bürgerlichen Rechten weithin freie Hand, das Land auf Reformkurs zu schieben.
Doch wird der neue Herr im Élysée fein darauf achten müssen, nicht zu überziehen. Der Protest der Straße wird sich schnell formieren. Das Land steckt mitten im schmerzhaften Übergang. Gespalten zwischen links und rechts wird Frankreich auch weiterhin zunächst mit sich selbst beschäftigt sein.
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