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WAZ: Über die Stärke des Präsidenten: Glasklar Köhler - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Der Präsident bleibt sich treu. Einmal mehr hat
Horst Köhler bewiesen, dass er, der Seiteneinsteiger, über den 
Parteien steht. Er fühlt sich unabhängig, stark, souverän genug zu 
tun, was ihm als richtig erscheint. Von wem er sich Kritik einhandelt
oder Applaus erfährt, ist ihm herzlich egal. Wobei die Entscheidung, 
dem Terroristen Christian Klar die Begnadigung zu versagen, die 
wichtigste seiner Amtszeit ist.
Teilweise merkwürdig, platt oder auch unverschämt war die 
Begleitmusik für diesen Vorgang. Konservative (und gestern auch 
Westerwelle) wiederholten ein ums andere Mal, Gnade setze Reue 
voraus. Das tut sie nicht. Darin erweist sich ja gerade das 
Einmalige, Großzügige, Staatsmännische der Gnade: Sie ist ein 
Geschenk, nicht der Preis für einen schnöden Handel. Schräg waren die
Flötentöne aus der CSU, wobei die Unverschämtheit der Drohung mit 
Nichtverlängerung der Amtszeit vor allem darin besteht, dem 
Präsidenten sei persönliche Karriere wichtiger, als das Richtige fürs
Land zu tun. Die hohen CSU-Repräsentanten konnten diesen Vorwurf 
gegen das Staatsoberhaupt wohl nur deshalb reinen Gewissens erheben, 
weil man bei Ihresgleichen eben offenbar so denkt. Wobei die 
Christsozialen sich an einem freien Wochenende mal mit der Frage 
beschäftigen könnten, wie ein derart egozentrischer Ansatz zu einer 
konservativen, also staatstragenden Partei passen soll.
Völlig neben der Klaviatur lag die Grünen-Chefin Roth. Mit einer 
Begnadigung hätte Köhler deutlich werden lassen, dass unser 
Rechtsstaat "nicht auf Rache, sondern auf Reintegration setzt". 
Glaubt Roth etwa, der mehrfache Mörder Klar sei aus Rache verurteilt 
worden und nicht aus Gerechtigkeit? Und weiter: Zwar setzt Gnade 
nicht Reue voraus, Reintegration dagegen schon. Die hat Klar gerade 
nicht gezeigt, nicht im Gespräch mit dem Bundespräsidenten, nicht in 
Interviews vorher, in denen er wiederholt deutlich machte, dass er 
unser "System", also die Demokratie, ablehnt, mithin dem RAF-Wahn 
verhaftet bleibt. Nach wie vor verweigern RAF-Terroristen ihren 
Beitrag zur Aufklärung, auch und gerade Klar. Weshalb sollte so 
jemand Anspruch haben auf "Reintegration"? Schließlich: Warum sollte 
der Staat leisten, was der einzelne ihm verweigert? Der verstockte 
Klar ist kein Fall für diese Art von Fürsorge.
Köhler hat Gesetze, die er für schädlich hielt, nicht 
unterzeichnet. Er läuft in seinen Äußerungen ganz und gar nicht dem 
Zeitgeist hinterher. Und nun Klar. Köhler erscheint als schönes 
Beispiel dafür, wie sehr man mit seinem Amt wachsen kann.

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