Westfalenpost: Kommentar zu Gesellschaft
Der einsame Tod
Die Fälle häufen sich /
Von Harald Ries
Hagen (ots)
Das Erschrecken ist immer da, wenn wir diese Geschichten hören von Menschen, die Wochen, Monate, Jahre tot in der Wohnung lagen, ohne dass sie vermisst wurden, ohne dass ein Nachbar etwas gemerkt hat. Die Fälle häufen sich. Weil mehr Menschen in unserer kinderarmen Gesellschaft ohne Familie sind. Weil Job- und Wohnungswechsel Beziehungslosigkeit fördern. Weil ein wachsender Bevölkerungsanteil in der Stadt lebt. Vielleicht gerade wegen der - in Fällen wie dem aktuellen in Hagen beklagten - Anonymität. Nicht jeder sucht das tägliche Gespräch mit Leuten, die zufällig nebenan wohnen und freut sich über soziale Kontrolle. Dass sich immer mehr Dinge ohne direkten menschlichen Kontakt erledigen lassen, hat Vor- wie Nachteile. Der einsame Tod ist einer der vielen Preise, die wir für die mehrheitlich gewünschte Individualisierung zahlen. Der Appell, öfter mal nach dem Nachbarn zu schauen, ist naheliegend, moralisch wertvoll, aber erfahrungsgemäß weitgehend wirkungslos. Weil das meist gerade dort nicht funktioniert, wo es besonders nötig wäre. Für ein bisschen Nachbarschaft als Kann-Angebot, für ein freiwilliges Stück Dorf in der Hochhaussiedlung braucht es auch ein wenig Organisation. Darum muss sich nicht zwingend der Staat kümmern. Weil es nicht nur einsame Kranke gibt, sondern viele rüstige Rentner, die für die Zivilgesellschaft noch viel leisten können. Und wollen. So unterschiedlich Menschen auch leben: Die wenigsten sind gerne allein. Nicht in der Wohnung, aber auch nicht im Krankenhaus und nicht im Altenheim.
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