Westfalenpost: Für Schuldzuweisungen ist es zu früh
Kommentar zum Tod eines Säuglings in Soest von Joachim Karpa
Hagen (ots)
Die Betroffenheit ist groß. Ein vier Monate altes Mädchen verdurstet und verhungert in Soest. Vier Tage lang lässt eine 21-jährige Mutter den Säugling alleine zu Haus. Unfassbar, undenkbar. Wut steigt auf. Schuldzuweisungen sind schnell bei der Hand. Das Jugendamt war doch informiert. Die Mutter hatte sich schließlich selbst mit der Bitte um Hilfe an das Amt gewandt. Und jetzt stirbt das unschuldige kleine Wesen, obwohl alle Beteiligten wussten, dass es der jungen Mutter nicht leicht gefallen ist, ihr Leben und das ihres Kindes in Griff zu bekommen. Hüten wir uns davor, vorschnell den Richter zu spielen. Das Jugendamt war überzeugt davon, dass es dem Säugling gut geht. Bis zum Tod, so makaber es sich auch anhört. Für die Sozialarbeiter gab es keinen Anlass, zu einem anderen Schluss zu kommen. Die Fürsorge der Mutter für den Säugling stand offenbar nie in Zweifel. Und vergessen wir die Rechtslage nicht. Auch wenn es sich im Nachhinein furchtbar theoretisch anhört: Die betroffene Mutter besaß das Sorgerecht für das Kind. Nachdenklich stimmt das Stillhalten der Behörde über einen viel zu langen Zeitraum, wohl wissend, dass die psychisch kranke Frau einen Säugling zu Hause hat. Wer aber weiß, wie die Sozialkosten die Haushalte der Kommunen belasten, wie winzig der finanzielle Spielraum ist und wie wenig Personal für wie viele betroffene Familien zuständig ist, der ahnt, dass natürlich nicht alles Menschenmögliche getan werden kann, um überforderten Mitmenschen die notwendige Unterstützung zu gewährleisten. Auf öffentlichen Bühnen machen sich Sätze wie "Wir lassen kein Kind zurück" gut, mit dem richtigen Leben haben sie nichts zu tun.
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