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NRZ: Der Preis, den der Fußball zahlen muss - Kommentar zur Fußball-EM von Reinhard Schüssler

Essen (ots)

Für alle, die nicht ganz so auf dem Laufenden sind: Bei dem Großereignis, das von Freitag an drei Wochen lang in Polen und der Ukraine stattfindet, handelt es sich keineswegs um den G-8-Gipfel oder das Jahrestreffen von "Amnesty International". Sondern - man glaubt es kaum - um eine Fußball-Europameisterschaft. Beim Studium mancher Zeitungslektüre könnten weniger fachkundige Leser da glatt etwas durcheinanderbringen. Es ist die Folge einer Entwicklung, in der wichtig schon lange nicht mehr nur auf'm Platz ist, wie Fußball-Legende Adi Preisler noch glaubte. Der Sport zahlt zunehmend den (politischen) Preis für seine ungeheuere Popularität. Indem von ihm nicht mehr bloß erwartet wird, von den Problemen und Sorgen dieser Welt abzulenken. Sondern diese gefälligst auch noch zu lösen. Überspitzt gesagt: Erst versagt die Politik, und dann soll der Sport die Kastanien aus dem Feuer holen. Wer Sportverbänden - mit Recht - vorwirft, sich bei der Vergabe von Großveranstaltungen in erster Linie an finanziellen Aspekten bzw. der Erschließung neuer Märkte zu orientieren, sollte die Moralkeule auch gegen Regierungen aus vorgeblich sauberen Staaten schwingen, die Geschäfte mit Diktatoren machen. Um auf die EM zurückzukommen: Monatelang hatte Europa Zeit, um Druck auf die Ukraine wegen der Inhaftierung der erkrankten Oppositionsführerin Julia Timoschenko auszuüben. Begonnen wurde damit just in dem Moment, da die Menschen begannen, sich für die anstehenden Fußball-Titelkämpfe zu interessieren. Dass diverse Politiker die Absicht, ein Fußballspiel nicht zu besuchen, als Drohgebärde verstanden haben wollten, mutete zuweilen schon grotesk an. Die unbestreitbare Gefahr, einem Land, in dem nicht nur die Bälle, sondern auch die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, eine Propagandabühne zu bieten, ist eine Sache. Eine andere die Chance, auf zu beanstandende Zustände hinzuweisen. Sie bietet sich heutzutage in dieser Größenordnung vor allem im Sport. Erreicht dieser doch längst mehr Menschen als alle Fensterreden und schlauen Analysen auf den politischen Zeitungsseiten. "Europa zu Gast bei Folterern" hat die linke "Tageszeitung" in dieser Woche getitelt. Eine Schlagzeile, die - so sie es überhaupt auf die erste Seite geschafft hätte - ohne den Hintergrund der Fußball-Europameisterschaft deutlich weniger Resonanz gefunden hätte. Zur Erinnerung: Tibet, das Thema Nummer 1 vor den Olympischen Sommerspielen 2008, hat es seit dem Erlöschen der Flamme in Peking nie mehr in die Schlagzeilen der Massenmedien geschafft. So gesehen hätte der Sport für seine Rolle eher Anerkennung denn Kritik verdient. Aber Politikern dient er nun einmal vor allem als Mittel zum Zweck (größerer Popularität). Die ganze Schizophrenie ihres Verhaltens hat jetzt der für Sport zuständige deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich deutlich gemacht, der durch sein Büro verlauten ließ, auf die ersten drei Partien der deutschen Mannschaft zu verzichten, weil er "keine weitere Politisierung des Fußballfestes" wolle. Als Sportminister, hieß es in der Erklärung des Ministeriums jedoch weiter, sei seine Teilnahme an den Vorrundenspielen auch nicht erforderlich. "Für das Halbfinale und Finale sieht das anders aus." So sieht es aus.

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