Neues Deutschland: zum Wortschöpfung "Nahrungsunsicherheit" in den USA
Berlin (ots)
Politikers Handwerk ist das Mundwerk. Es kann aus jeder großen Idee eine Phrase, aber auch aus jeder Phrase sofort eine große Idee machen. Beides gleich fatal. Es ist ein Irrtum zu behaupten, Regierende würden nervös, wenn man sie beim Wort nimmt. Nein, just im Wort fühlen sie sich am wenigstens am Schopf gepackt. Ein jüngstes Beispiel: Im letzten Jahr, im Bericht zur Nahrungsgüterversorgung, sprach das US-Landwirtschaftsministerium da, wo es um Hungernde ging, immerhin noch von »Nahrungsunsicherheit mit Hunger«. Im aktuellen Report gibt es nur noch Menschen »mit sehr geringer Nahrungssicherheit«. In den Genuss dieses Sprachkunststückes kommen, der Studie nach, fast elf Millionen hungernde US-Bürger. Armut, verschämt versteckt - weil sie Ergebnis unverschämten Reichtums ist. In der DDR sagte eine zusammenbrechende Partei, sie habe die »Wende eingeleitet«; in der Bundesrepublik wandelte sich die Unterschicht flugs in »Menschen mit gesellschaftlichen Teilhabekonflikten«; aus Pariser Jugendlichen, die in den Vorstädten revoltierten, machte die dortige Regierung eine »integrationszögerliche Gruppe«. Ältester wie vergeblichster Traum des sprechblasierten politischen Geschäfts: Was zur Sprache kommt, möge auf diese Weise verschwinden, soll sich aus einer sozialen Wirklichkeit entfernen, die natürlich (auch bloß) eine Erfindung der jeweiligen Opposition ist. Da kann man nur sagen: Man ist doch immer wieder sprachlos.
Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Neues Deutschland
Redaktion / CvD
Telefon: 030/29 78 17 21
Original content of: nd.DerTag / nd.DieWoche, transmitted by news aktuell