Administratives Leistungsvermögen der EU-Mitgliedstaaten variiert stark
Berlin (ots)
Vorstellung des Governance Report 2014 mit Kommissions-Vizepräsident Sefcovic;
Eine leistungsfähige Verwaltung ist das Rückgrat staatlichen Handelns, wobei die Anforderungen durch Mehrebenen-Systeme wie die EU bei gleichzeitigem Sparzwang im öffentlichen Sektor weiter wachsen. Statt pauschal nach Bürokratieabbau zu streben, sollten sich Staaten das Leistungsvermögen ihrer Verwaltungen genau ansehen und gezielt verbessern. Im Governance Report 2014 stellt die Hertie School of Governance dafür einen neuen Analyserahmen und ein Indikatoren-System vor. Der Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für institutionelle Beziehungen und Verwaltung Maros Sefcovic; sagte bei der Vorstellung des Reports heute (10. April 2014) in Berlin: "Die Hertie School befasst sich hier mit genau den Kernherausforderungen, vor denen öffentliche Verwaltungssysteme stehen. Diese haben immer mehr eine transnationale Dimension, auf die man mit einer verstärkten Zusammenarbeit der nationalen und der europäischen Verwaltungen reagieren muss."
Die Autoren der aktuellen Ausgabe des Governance Report, Martin Lodge (LSE) und Kai Wegrich (Hertie School), unterteilen das administrative Leistungsvermögen in vier Kategorien:
- Vollzugskapazität als die Ressourcen, die einer Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen. - Regulierungskapazität als die Art und Weise, wie der Staat wirtschaftliche und gesellschaftliche Aktivitäten reguliert, die Einhaltung der Regeln überprüft und fördert. - Koordinationskapazität als die Fähigkeit, Vermittlungs- und Verhandlungsprozesse zwischen Beteiligten auf verschiedenen Verwaltungsebenen sowie nichtstaatlichen Akteuren zu steuern. - Analysekapazität als die Fähigkeit des Staates, die Leistungsfähigkeit seiner Systeme einzuschätzen, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren und eine entsprechende Bedarfsplanung vorzunehmen.
Anhand von Problemstellungen wie Breitbandinternet-Versorgung, Pflege alter Menschen und Umsetzung der Energiewende zeigen Lodge und Wegrich mithilfe ihres Modells einerseits administrative Schwachstellen auf. Andrerseits belegen sie die Schlüsselrolle der Verwaltung gerade in Politikbereichen, in denen es auf das Zusammenspiel staatlicher und nichtstaatlicher Akteure aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft ankommt. "Ohne ein in allen vier Kategorien gut aufgestelltes Verwaltungssystem bleibt das beste politische Konzept ein Stück Papier. Auch soziale Innovationen wie Crowdfunding-Initiativen bei der Breitband-Versorgung bleiben wirkungslos, wenn die Verwaltung nicht über die notwendige Koordinationskapazität verfügt", so Lodge und Wegrich. Deutschland in der Spitzengruppe, aber Schlusslicht bei Rahmenbedingungen für Gründer
Das Leistungsvermögen der Verwaltungen in den EU-Mitgliedstaaten variiert stark. Das ist das Resultat des von Piero Stanig (Hertie School) auf Basis des Kapazitätenmodells von Lodge/Wegrich entwickelten Indikatorensystems. In Unterkategorien wie Problemlösungskompetenz und Innovationskraft, Selbstüberwachung sowie Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Regulierung erstrecken sich die Ergebnisse über fast die gesamte Spanne der Messskala.
Damit schneiden einige EU-Staaten hier sogar schlechter ab als manche Schwellenländer bzw. die Gruppe der Schwellenländer weist ein homogeneres Ergebnis auf als die EU. Ein sehr einheitliches Bild gibt die EU hingegen in den Unterkategorien Bildung, Versorgung in den Bereichen Gesundheit, Energie und Verkehrsinfrastruktur sowie Kriminalitätskontrolle ab. Insgesamt sind die EU-Staaten mit Bezug auf die vier Kategorien des Analysemodells bei Vollzugs- und Regulierungskapazität auf einem einheitlicheren Niveau als bei Koordination und Analyse.
Deutschland gehört sowohl im EU- als auch im weltweiten Vergleich in nahezu allen Kategorien der Spitzengruppe an - mit Ausnahme der Koordinationskapazität. In dieser Kategorie wird unter anderem gemessen, wie leicht die Gründung und der Betrieb eines Unternehmens ist - hier liegt Deutschland sogar am Ende der europäischen Skala.
Anders als Ranglisten, die auf extrem aggregierten Daten beruhen, ermöglichen die Governance-Indikatoren der Hertie School eine sehr differenzierte Betrachtung der administrativen Leistungsfähigkeit der einzelnen Staaten. Experten aus Wissenschaft und Praxis steht eine interaktive Webanwendung zur Verfügung unter: www.governancereport.org/indicators2014.
Das System basiert auf einer Vielzahl offizieller und wissenschaftlicher Quellen, z. B. von Eurostat, der Weltbank und der UN sowie auf breit angelegten wissenschaftlichen Meinungsumfragen.
Über den Governance Report
"The Governance Report 2014", hrsg. von der Hertie School of Governance, ist bei Oxford University Press sowie im Buchhandel erhältlich. Der Begleitband "The Problem-Solving Capacity of the Modern State" mit umfangreichen Beiträgen zu allen Themen des Reports erscheint im August 2014. Unter www.governancereport.org finden Sie weiteres Material zum Governance Report, darunter die interaktive Webanwendung der Governance- Indikatoren.
Die jährlich erscheinende Publikation beleuchtet jeweils spezielle Governance-Herausforderungen, stellt innovative Entwicklungen in diesem Bereich vor und bietet Analysen auf Basis neu entwickelter Indikatoren. Der Governance Report berücksichtigt dabei besonders die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Staaten sowie zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Mit anwendungsbezogenen Analysen und konkreten Empfehlungen an die Politik will das beteiligte Wissenschaftlerteam zur Erklärung und Lösung aktueller Governance-Probleme beitragen.
Die Hertie School of Governance ist eine staatlich anerkannte, private Hochschule mit Sitz in Berlin. Ihr Ziel ist es, herausragend qualifizierte junge Menschen auf Führungsaufgaben im öffentlichen Bereich, in der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft vorzubereiten. Mit interdisziplinärer Forschung will die Hertie School zudem die Diskussion über moderne Staatlichkeit voranbringen und den Austausch zwischen den Sektoren anregen. Die Hochschule wurde Ende 2003 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung gegründet und wird seither maßgeblich von ihr getragen.
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