Mittelbayerische Zeitung: Vorrücken gefährdet
Regensburg (ots)
In keinem anderen wichtigen Politikfeld in Deutschland klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei der Bildung. Seit vielen Jahren singen Politiker aller Couleur immer wieder das Hohelied vom ach so bedeutenden Stellenwert unserer Kindergärten, Schulen und Universitäten. Und in erschreckender Regelmäßigkeit geben internationale Vergleichsstudien unserem System gleichzeitig miserable Noten. Spätestens die gestern präsentierte OECD-Studie sollte als letzter Weckruf ernstgenommen werden. Die Experten stellen Deutschland darin ein weiteres schlechtes Zwischenzeugnis aus mit dem Vermerk: Vorrücken gefährdet. Mangelhafte Zensuren hagelte es auch in der Vergangenheit andauernd, aber irgendwie hat sich das Bildungsland bisher durchgemogelt. Neu ist in diesem Jahr aber die Erkenntnis, dass die Mängel im Schulsystem bedrohlich auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Viel zu wenige Uni-Absolventen, immer weniger qualifizierte Haupt- und Realschüler, die befähigt sind, eine Lehre oder später vielleicht eine Meisterausbildung zu absolvieren - die OECD legt die Finger schonungslos in die Wunden. Außerdem haben wir eine frühkindliche Förderung in den Kitas, die den Namen nur ansatzweise verdient. Anstatt hier richtig zu investieren, wo der spätere schulische Erfolg maßgeblich vorbestimmt wird, steckt unser Staat viel Geld in einen aufwändigen Reparaturbetrieb oder sortiert eine erschreckend hohe Zahl von Schülern einfach aus. Das wird dann aber richtig teuer. Jeder Euro, der bei der Bildung gespart wird, muss später doppelt und dreifach zurückgezahlt werden. Schon heute weisen die Experten darauf hin, dass deutsche Unternehmen Akademiker deutlich höher entlohnen müssen als im OECD-Durchschnitt - weil in immer mehr Branchen die Nachfrage das Angebot an qualifiziertem Personal übersteigt. Und schon jetzt klagen immer mehr Betriebe darüber, dass sie keine geeigneten Leute finden - vom Facharbeiter bis zum Ingenieur. Falls sich daran nichts ändert, bekommen wir handfeste Probleme. Wenn die Firmen Aufträge aus Personalmangel ablehnen müssen, wird aus der Bildungsmisere eine Wachstumsbremse für die Gesamtwirtschaft. Darüber freuen sich dann nur noch die Konkurrenten in Fernost, die bei der Bildung ihre Hausaufgaben längst gemacht haben. Während Deutschland die Ausgaben trotz aller Warnungen und Appelle in den vergangenen Jahren sogar noch kürzte, stecken fast alle anderen Industrieländer deutlich mehr Geld in ihr Schulsystem. Daraus hätten die Politiker hierzulande ihre Lehren ziehen müssen. Doch stattdessen errichteten sie sogar noch Bildungshürden in Form von Studiengebühren und nehmen den Studienplatzmangel als gottgegeben hin. Außerdem hat es Deutschland nicht geschafft, einen der größten gesellschaftlichen Skandale zu beseitigen. Nach wie vor wird Bildung - ebenso wie die Armut - von Generation zu Generation vererbt. Die deutschen Universitäten sind - wie schon in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts - ein exklusiver Klub von Akademikerkindern. Immer noch schaffen viel zu wenig junge Leute aus anderen Schichten den Sprung an die Hochschulen. Wenn das so bleibt, werden wir bei den Hochqualifizierten gegenüber Ländern wie China, Südkorea oder Japan weiter zurückfallen. Kluge Köpfe sind der einzige Rohstoff, den Deutschland zu bieten hat. Deshalb muss die Politik endlich die Priorität setzen, die sie in Sonntagsreden schon so oft versprach. Unser Erfolg hängt ausschließlich von den Talenten der Beschäftigten und des Nachwuchses ab - nicht vom Bau neuer Umgehungsstraßen oder der Beschaffung von Kampfhubschraubern für die Bundeswehr. Wer heute nicht als Zukunftsmotto Vorrang für die Bildung ausgibt, ist dafür verantwortlich, wenn aus dem einst guten Schüler Deutschland ein Sitzenbleiber wird.
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