Mittelbayerische Zeitung: Merkels Scheinfrieden
Regensburg (ots)
Von Stefan Stark
Friede, Freude, Eierkuchen: So lässt sich das wichtigste Ergebnis des schwarz-gelben Koalitionsgipfels wohl am ehesten übersetzen. Ja, wir sprechen noch miteinander. Ja, wir können sogar gemeinsam Beschlüsse fassen. Kameradschaftlich, locker, freundschaftlich sei die Atmosphäre gewesen, betonten die Generalsekretäre der Regierungsparteien nach dem Treffen. Da hat wohl der eine oder andere schon wieder vergessen, dass Philipp Rösler die Kanzlerin vor kurzem noch mit einem Frosch verglich, der beim Thema Gauck langsam gekocht worden sei. Vor gerade einmal zwei Wochen noch sah es so aus, als ob die Scheidung der Vernunftehe unmittelbar bevorsteht. Der Alleingang des FDP-Chefs bei der Bundespräsidenten-Kür dürfte viele in der Union noch immer heftig schmerzen. Es ist wohl einzig Angela Merkels kühlem Pragmatismus geschuldet, dass es in dieser Frage nicht zum Koalitionsbruch kam. Im Nachhinein steht sie sogar als Siegerin da, als die Klügere, die gegenüber Rösler nachgab: Denn in den Umfragen schadeten ihr die Personalquerelen nicht - im Gegenteil: Die Union gewann leicht in der Wählergunst. Machtpolitisch profitiert sie also sogar noch von den taktischen Winkelzügen des Regierungspartners. Vielleicht spielten diese Überlegungen auch in Merkels Kalkül eine Rolle, als sie relativ schnell den Daumen für Gauck hob. Bei der künftigen Machtarithmetik werden die Wahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein von entscheidender Bedeutung sein. In beiden Bundesländern sieht es im Augenblick nach einer scharfen Abfuhr für schwarz-gelbe Bündnisse aus - vor allem, weil die Liberalen nicht aus ihrem Dauertief kommen. Sowohl in Saarbrücken als auch in Kiel droht den FDP-Wahlkämpfern das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Das hätte aber auch für die CDU gravierende Konsequenzen. Weil sich der schwindsüchtige Partner nach und nach im Nichts auflöst, müssen sich die Unionsparteien für neue Machtoptionen öffnen. Aus diesem Blickwinkel war der Koalitionsgipfel am vergangenen Sonntag auch der Versuch, die Handlungsfähigkeit der schwarz-gelben Bundesregierung zu demonstrieren. Ein Bild des absoluten politischen Stillstands in Berlin wäre eine schwere Belastung für die wahlkämpfenden Parteifreunde an der Saar und an der Küste. Also haben sich die Spitzen der Koalition jetzt aufeinander zubewegt - soweit das im Rahmen einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners möglich ist. Wirklich strittige Themen wie Mindestlohn, Vorratsdatenspeicherung oder Pflegereform wurden von vornherein ausgeklammert. Bei der Griechenland-Rettung jongliert die Bundesregierung mit schwindelerregenden Summen. Doch bei den großen innenpolitischen Themen reicht es nicht einmal mehr für einen Anlauf. Stattdessen einigte man sich auf Reförmchen und Willenserklärungen. Bemerkenswert in der Liste der Beschlüsse vom Sonntag ist immerhin, dass sich die Bundesregierung für das Jahrhundertprojekt Energiewende endlich einen Fahrplan geben will - knapp neun Monate, nachdem der Bundestag den Atomausstieg beschlossen hat. Ob damit auch die energiepolitische Dauerfehde zwischen dem CDU-Umweltminister und dem FDP-Wirtschaftsminister ein Ende nimmt, darf bezweifelt werden. Es knarzt heftig im schwarz-gelben Gebälk. Auch wenn die Union momentan in Umfragen so gut dasteht wie lange nicht mehr - mit der FDP wird es 2013 nicht mehr reichen. Für den Machterhalt braucht Merkel auf jeden Fall einen anderen Partner. Das weiß auch Rösler, für den es künftig nicht mehr um eine Regierungsbeteiligung geht, sondern ums nackte Dasein. Je länger sich die FDP im Überlebenskampf befindet, umso heftiger wird sie um sich schlagen - auch gegen CDU und CSU. Die Kanzlerin wiederum wird keine Rücksicht mehr auf Rösler nehmen wie zuletzt in der Causa Gauck. Die Koalitionäre haben am Sonntag nur einen Scheinfrieden geschlossen - den schleichenden Verfall wird er nicht aufhalten.
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