Mittelbayerische Zeitung: Die Saat des Hasses Die islamische und die westliche Welt müssen besonnen auf die jüngsten Ereignisse reagieren. Leitartikel von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Mit dem Sturm auf die deutsche Botschaft im Sudan hat am Freitag die Welle der Gewalt, die in der vergangenen Woche losbrach, eine neue Dimension erreicht. Erstens, weil nun auch Deutschland und nicht mehr nur die USA Ziel der Übergriffe wurde. Zweitens, weil es diesmal nicht in einem Land geschah, das von dem Umbrüchen des arabischen Frühlings betroffen war. Es ist eine beunruhigende Entwicklung, auf die es besonnen zu reagieren gilt. Denn der im Internet aufgetauchte Film "Die Unschuld der Muslime" mag zwar Auslöser der Attacken, Proteste und Übergriffe sein. Er ist nicht der Ursache. Die sitzt viel tiefer und besitzt gewaltige Sprengkraft. Den kruden Film, der mit seiner Darstellung des Propheten Mohammend die religiösen Gefühle der Muslime weltweit verletzt, gibt es nicht erst seit dieser Woche. Er wurde schon vor längerem produziert. Dass ein Trailer nun aber genau in der Woche Verbreitung findet, in der sich der Jahrestag des 11. Septembers 2001 zum elften Mal jährt, dürfte kein Zufall sein. Ebenso wenig, dass der Anschlag auf das US-Konsulat in der libyschen Stadt Bengasi sich an diesem Tag ereignete. Mittlerweile steht zwar so gut wie fest, dass das Attentat in Libyen, bei dem der US-Botschafter und drei weitere US-Bürger getötet wurden, die Handschrift der Al-Kaida trägt und von langer Hand geplant war. Er verwendete die fast zeitgleich beginnenden Proteste gegen den Film in Ägypten aber als Deckmantel. Und tags darauf begannen die Ausschreitungen im Jemen. Das Timing ist auffällig. Alle drei Länder sind nach dem Sturz ihrer einstigen, langjährigen Diktatoren alles andere als stabile Gebilde. Libyen hat erst am vergangenen Mittwoch einen Regierungschef gewählt. Ägypten ist gerade erst dabei, sich nach den ersten freien Wahlen nach dem Sturz Mubaraks neu zu organisieren. Auch der Jemen sucht erst seinen Weg in die Zukunft. In den Wirren der Aufstände und Neuanfänge kommen viele politische und religiöse Strömungen an die Oberfläche, die von den einstigen Regimen jahrelang unterdrückt waren. So muss es für die USA verstörend sein, dass ausgerechnet in Libyen ein US-Diplomat getötet wurde, also in dem Land, von dem dachte, es sei von einem der führenden Antiamerikaner befreit worden. In Ägypten regieren die Muslimbrüder. Sie wandern auf einem schmalen Grat zwischen der Befriedigung der Interessen ihrer fundamental-islamischen Wähler und dem Versuch, auch international als gemäßigt aufzutreten. Das Problem ist, dass der Wunsch der Menschen nach Freiheit und nach Gerechtigkeit, der die Revolutionen ausgelöst hat, in vielen Teilen unerfüllt geblieben ist. Diese Lücke wussten nicht nur in Ägypten fundamental-islamische Gruppen geschickt zu füllen. Sie mögen nur einen Teil der jeweiligen Gesellschaft repräsentieren und zumeist friedliche Ziele verfolgen. Aber der Islam hat zunehmend eine identifizierende Funktion übernommen. Die vergangene Woche hat gezeigt, dass über den Hebel der Religion schnell eine große Zahl von Menschen mobilisiert und instrumentalisiert werden kann. Wer will, könnte sagen, dass elf Jahre, nachdem die Al Kaida ihren Krieg gegen die "Kreuzritter" begonnen hat, die Saat ihres Hasses flächendeckend Früchte trägt. Beide Seiten, die islamischen Staaten ebenso wie die USA und ihre Verbündeten, sind nun gefordert, die Scharfmacher in den eigenen Reihen in Zaum zu halten. Der Flächenbrand in der islamischen Welt ist bereits angefacht. Eine Explosion ist vielleicht nur noch ein einen Funkenschlag weit entfernt.
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