Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Regierungserklärung Merkels: Miesmacher gegen Mutmacher von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Der Schlagabtausch zwischen Merkel und Steinbrück offenbarte zwei völlig unterschiedliche Konzepte.
Ist das die Konstellation, an der sich die nächste Bundestagswahl, zumindest die spannende Kanzler-Frage maßgeblich entscheidet: Knausrige schwäbische Hausfrau gegen gut honorierten Vortragsreisenden, allseits beliebte "Mutti" gegen schneidigen Besserwisser, Frau aus dem Osten gegen Nordlicht, CDU-Chefin gegen Ex-SPD-Finanzmarktbändiger, Mutmacherin gegen Miesmacher? Es könnte durchaus so sein. Entschieden ist aber noch lange nichts. Gestern zumindest haben die beiden Bewerber für das Kanzleramt nach der Wahl am 22. September nicht nur ihre unterschiedlichen Temperamente und rhetorischen Fähigkeiten demonstriert, sondern vor allem völlig unterschiedliche politische Konzepte in der wichtigen Europa- und Euro-Politik vorgestellt. Angela Merkel nutzte zum wiederholten Male eine Regierungserklärung, um durchaus fragwürdige Ergebnisse eines EU-Gipfels in rosarotes Licht zu tauchen. Peer Steinbrück hingegen attackierte die Kanzlerin dort, wo sie über die wirklichen Probleme gleichsam präsidial hinwegschwebte. Selten wurde der Kanzlerin so fundiert und engagiert Paroli geboten, wie gestern von Steinbrück. Denn so richtig eisernes Sparen ist, so darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass ganze Gesellschaften, Volkswirtschaften nicht kaputt gespart werden dürfen. Sinnvolles Sparen muss durch sinnvolles Investieren ergänzt werden. Das ist leider die Achillesferse in Merkels Europapolitik. Steinbrück legte sie jetzt offen. Das verspricht noch einen spannenden Wahlkampf, nicht nur den Austausch von sattsam bekannten Redestanzen. Vorausgesetzt freilich man will genau hinhören, was die beiden Bewerber um das höchste Regierungsamt hierzulande zu sagen haben. Den dürftigen Haushalts-Kompromiss der 27 Regierungschefs von vor zwei Wochen in Brüssel, der im Kern eine dramatische Beschneidung der Mittel der 27er Gemeinschaft darstellt, hat die Kanzlerin schlicht schöngeredet. Merkel hat sich in der Karnevalswoche, wie die anderen 25 EU-Regierungs- beziehungsweise Staatschefs auch, vom Briten David Cameron erpressen lassen. Der wollte seine innerparteilichen EU-Kritiker besänftigen und drückte eine Etat-Kürzung durch. Kurzfristiger Eigennutz des Londoner Konservativen triumphierte über die langfristigen Interessen der Gemeinschaft. Und Merkel legte sich nicht quer. Offenbar, um überhaupt ein Ergebnis mit nach Hause zu bringen beziehungsweise dem EU-Parlament Zahlen für den Haushalt bis 2020 vorlegen zu können. Das aber wird bitter für den deutschen Steuerzahler. Denn Deutschland bleibt der größte Zahler der EU und bekommt auch weniger Geld aus Brüssel zurück. Und die bislang übliche Praxis, dass nicht abgerufene EU-Gelder an die Nettozahler zurückflossen, wird auch bald der Vergangenheit angehören. Auf weniger Zuwendungen aus Brüsseler Töpfen müssen sich zuerst die Landwirte und ländlichen Räume einstellen, aber auch in den grenznahen Regionen, etwa zu Tschechien, wird es Einbußen geben. Angela Merkel hat gestern vor dem Bundestag das Versprechen abgegeben, dass Ost-Bayern gegenüber dem Hoch-Förderland Tschechien nicht über Gebühr abfallen darf. Man sollte sie an diesem Versprechen messen. Freilich hat die gewiefte deutsche Kanzlerin gestern auch die Tricks zur Unterwanderung des Cameron-Etats aufblitzen lassen. Das Zauberwort heißt "Überprüfungsklausel". Alle zwei Jahre könnte demnach der EU-Finanzrahmen den jeweiligen Bedingungen "angepasst" werden. Eigentlich hätte Steinbrück Merkel wegen dieser Finesse loben müssen. Aber das tut man im Wahlkampf natürlich nicht.
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