Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Klon-Experiment: "Der enträtselte Mensch"
Regensburg (ots)
Die Wissenschaft feiert ein Forscherteam aus Oregon, das etwas geschafft hat, was unmöglich schien - doch die Nachricht, dass es gelungen ist, menschliche Zellen zu klonen, schürt mehr Ängste als Hoffnungen. Es ist die Angst, dass ein Mensch zweckgebunden geboren werden könnte, dass die Würde der Menschen zu Forschungszwecken geopfert wird. Und genau deswegen rücken jetzt wieder Fragen in den Mittelpunkt, über die zu lange nicht geredet worden ist, weil die Stammzellenforschung jahrelang in der Versenkung verschwand: Wie weit darf Forschung gehen? Wann wird Leben geopfert; Wann beginnt es überhaupt? Wann fangen Menschen an, Gott zu spielen? Das war schon bei Klon-Schaf Dolly 1997 so; das war 2004 beim Koreaner Hwang Woo-Suk so, der ebenfalls behauptete, menschliche Embryonen geklont zu haben, bis er als Scharlatan entlarvt wurde. Aber: Müssen wir uns diese Fragen heute wieder stellen? Ja, wir müssen! Dringendender denn je. Kaum drangen die Erkenntnisse der Oregon Health & Science University in Portland nach Europa, wurden sie von Würdenträgern, Politikern und Ethik-Professoren torpediert, und das, obwohl noch niemand die Ergebnisse überprüfen konnte. Eine neue Debatte um die Grenzen der wissenschaftlichen Machbarkeit ist nun ausgebrochen. Zwar hat der Gesetzgeber schon vor Jahren vorgeschrieben, wann ein Leben schützenswert ist, aber das gilt nur in Deutschland. Doch Forschung ist ein weltweiter Wettbewerb - und ein Abkommen, das die Erzeugung von geklonten Embryonen verbieten wollte und an dem sich mehr als 60 Staaten beteiligt hatten, ist 2005 gescheitert. Nun haben amerikansiche Wissenschaftler eine Anleitung zum Klonen von Menschen erschaffen - und die ganze Welt muss damit umgehen. Das Team um den Forschungsleiter Shoukhrat Mitalipov sagt zwar, dass es nie im Sinn gehabt habe, einen Menschen zu klonen. Und es habe bewiesen, dass man Stammzellen aus menschlichen Embryonen herstellen kann. Ihre Bemühungen waren ehrbar - und auch menschlich. Denn durch diese Stammzellen soll Gewebe herangezüchtet werden, das jede kranke Zelle ersetzen kann. Und so sollen unheilbare Krankheiten wie Krebs, Alzheimer, Multiple Sklerose, Parkinson, Diabetes etc. irgendwann einmal der Vergangenheit angehören. Doch das entscheidende Kriterium liegt im Detail: Die Amerikaner haben das therapeutische Klonen (Forschungsklonen) angewendet, um Stammzellen zu erschaffen. Der Embryo wird hier in einem frühen Stadium seiner Entwicklung zerstört. Zwar wird er nicht in die Gebärmutter eingepflanzt - ein Lebewesen mit einem bestimmten Gencode wird also nicht designt -, aber mögliches Leben wird zum Zweck eines anderen geopfert. Daher verwundert es nicht, dass vor allem Vertreter der Kirche auf die Barrikaden steigen. Schließlich sei jedes Leben, also auch ein befruchteter Embryo, schützenswert. Aber genauso dürfen Forscher zurückfragen, ob es nicht auch eine Form der Nächstenliebe und Aufgabe der Wissenschaft ist, millionenfaches Leid, das durch unheilbare Krankheiten ausgelöst wird, zu lindern. Doch Shoukhrat Mitalipov und sein Team stehen deswegen in der Kritik, weil sie eine längst überflüssige Methode angewendet haben. Denn längst gibt es weniger fragwürdige Alternativen, um solche "Alleskönner"-Zellen zu entwickeln: Zum Beispiel die "induzierten pluripotenten Stammzellen" (iPS-Zellen). Die Zellen werden dabei einfach "zurückprogrammiert" - und man traut ihnen ähnliche Wunder zu. Und Embryonen müssen auch nicht geopfert werden. Autor: Pascal Durain
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