Mittelbayerische Zeitung: Die Richter regieren Unterlassene Gesetzgebung und doch eine Strategie - Merkel hat beim Thema Homo-Ehe geschickt agiert. Leitartikel von Maria Gruber
Regensburg (ots)
Das Bundesverfassungsgericht hat es wieder getan: Mit seinem Urteil zur steuerlichen Gleichstellung von schwulen und lesbischen Lebenspartnerschaften hat Karlsruhe gestern wieder einmal Politik gemacht - die, um welche sich die schwarz-gelbe Bundesregierung schon lange drückt. Nicht ohne Grund. Der Bundesregierung ein durchwegs verstaubtes Gesellschaftsbild oder etwa eine homophobe Gesinnung zu unterstellen, wäre falsch. Die unterlassene Gesetzgebung der Bundestagsmehrheit im Bereich der Gleichstellung von Schwulen und Lesben hat eine andere Ursache. Der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck hat sie gestern mit einem Satz ziemlich treffend umschrieben: "Wir werden gut von Karlsruhe regiert." Dass die Entscheidung von den Bundesverfassungsrichtern früher oder später in dieser Form fallen würde, war vorhersehbar. Denn ihre Rechtsprechung folgt - im Gegensatz zur Koalitionspolitik - einer klaren Linie. Seit mehreren Jahren baut das oberste deutsche Gericht Stück für Stück die Diskriminierung der Homo-Ehe ab: 2009 erklärten die Richter die Diskriminierung schwuler und lesbischer Partnerschaften im Vergleich zu Eheleuten bei der Betriebsrente im öffentlichen Dienst für verfassungswidrig. Ein Jahr später folgte die Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer. 2012 legte Karlsruhe fest, dass homosexuelle Beamte in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ebenso Anspruch auf den Familienzuschlag haben wie Ehepaare. Im Februar entschied Karlsruhe, dass Homosexuelle in einer eingetragenen Partnerschaft auch Adoptivkinder des Partners annehmen dürfen. Mit dem Beschluss zum Ehegattensplitting wurde nun ein weiteres Bundesgesetz korrigiert, weil es auch hier nach Ansicht der Richter keine "gewichtigen Sachgründe für eine Ungleichbehandlung" von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und Ehen gibt. Die Bundesregierung musste sich im Grunde nur zurücklehnen und warten, bis die Richter die Arbeit erledigen, die in der schwarz-gelben Koalition für Streit gesorgt hätte. Freilich ein sehr eigenartiges Verständnis von Regierungsarbeit - allerdings eine äußerst geschickte Strategie, die es allen ermöglicht, das Gesicht zu wahren. Vor allem im Wahljahr. Für die Liberalen ist der Beschluss ein kleiner Triumph. Wie oft doch musste die FDP unter Merkel in den sauren Apfel beißen und etwa beim Betreuungsgeld kleinbeigeben, um nicht Gefahr zu laufen, nach einem potenziellen Koalitionsbruch im Nichts zu verschwinden. Verständlich daher, dass sich Philipp Rösler gestern einen Seitenhieb auf Merkel nicht verkneifen konnte. Die Kritiker einer allzu stringenten Gleichstellung von Schwulen und Lesben - vor allem in der CSU und im konservativen Flügel der CDU - müssen sich auch nicht vor ihren Wählern fürchten. Sie können sich darauf berufen, dass ihnen gar keine andere Wahl blieb, als den Beschluss mitzutragen. Schließlich sind Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bindend. Und die Christdemokraten, die schon lange für die steuerliche Gleichstellung von schwulen und lesbischen Partnerschaften plädieren - beim Parteitag im Dezember aber nicht gehört wurden? Die können sich jetzt öffentlichkeitswirksam dafür einsetzen, dass das Steuerrecht nach Maßgabe aus Karlsruhe "unverzüglich" reformiert wird. Das wiederum bringt Wählerstimmen im urbanen Klientel, bei dem die Union Nachholbedarf hat. Dass im Wahljahr die Opposition jubiliert, kann Bundeskanzlerin Merkel billigend in Kauf nehmen. Sie hat schon viele "Ohrfeigen" aus Karlsruhe, wie die Opposition den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nennt, ziemlich gut weggesteckt. Die Wähler bleiben der Union dennoch treu - die Union ist auch dem neuesten ARD-Deutschlandtrend zufolge mit 41 Prozent klar stärkste Kraft. Merkel ist mit ihrer Strategie bisher gut gefahren und wird davon auch bis zur Bundestagswahl nicht davon abweichen. Bis dahin regiert das Bundesverfassungsgericht für sie weiter.
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