Mittelbayerische Zeitung: Führung im Krisenfall - In der Krim-Krise zeigt die Regierung Führung. Doch das ist nicht der Gradmesser für die Koalition. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Der Großteil des Regierens bestehe nicht im Abarbeiten sorgfältig ausgearbeiteter Regierungspläne, sondern im Reagieren auf aktuelle Ereignisse. Meinte Angela Merkel einmal. Die jetzige Krise um die Ukraine und die Halbinsel Krim sowie das Zerwürfnis mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin konnte die schwarz-rote Koalition, als sie sich vor 100 Tagen endlich ans Regieren machte, nicht auf dem Schirm haben. Doch genau jetzt zeigt die Kanzlerin Führung. Sie ist die Einzige der westlichen Staatschefs, die überhaupt noch einen "Draht" zum Kreml hat. Merkels Doppelstrategie - mit Sanktionen drohen, aber auch weiter auf Gespräche mit Putin setzen -- ist nach Lage der Dinge das einzige probate Mittel, um die verfahrene bis brandgefährliche Situation doch wieder zu entspannen. Zur Bilanz der ersten einhundert Tage der großen Koalition zählt auch, dass es in der Außenpolitik zwischen Kanzlerin und Außenamtschef keine unterschiedlichen Akzente gibt. Beim Vorgänger Guido Westerwelle, den Merkel das eine ums andere Mal düpiert hatte, war das anders. Merkel und Steinmeier werden noch dazu von einer Welle der Sympathie getragen. Auch wenn beide im Konflikt mit Moskau bisher kaum etwas Zählbares erreicht haben. Krisenmanager, die mit zerfurchter Stirn vors Mikrofon treten, sind beliebt. Freilich ist die außenpolitische Harmonie zwischen Union und SPD kaum der wichtigste Gradmesser für eine Bewertung der ersten 100 Tage große Koalition. So fragwürdig solche Zeugnisse nach kurzer Regierungszeit auch sind. In Anbetracht der ursprünglich heftigen Widerstände vor allem in der SPD hat sich die "GroKo" nach langer Verhandlungsphase erstaunlich schnell zusammengerauft. Vor allem die SPD-Minister gaben das Tempo vor, setzten die Themen. Etwa bei Mindestlohn, Rentenkonzept, Energiepolitik oder Frauenquote. Auf diesen Feldern hat der kleinere Koalitionspartner schnell Pflöcke eingerammt. Offenbar auch, um nicht wieder, wie zwischen 2005 und 2009, von der übermächtigen Union "untergebuttert" und dann bei Wahlen abgestraft zu werden. Allerdings: Eine Koalition strenger Haushaltsdisziplin ist Schwarz-Rot nicht wirklich. Auch wenn Kassenwart Wolfgang Schäuble mit Verweis auf die "schwarze Null" ab 2015 diesen Eindruck vermitteln möchte. Die Rente mit 63 etwa schafft Milliardenlasten für die Zukunft. Die zurzeit prall gefüllten Sozialkassen nähren die gefährliche Illusion, das Füllhorn bleibe weit geöffnet. Dasselbe gilt für andere kostspielige Projekte wie die Mütterrente, die dreist aus der Rentenkasse bezahlt wird. Wichtige andere Reformfelder, wie etwa die Pflege, blieben dagegen bislang klar unterbelichtet. Da wird noch einiges kommen müssen - auch von den Unions-Ministern. Und die Pkw-Maut ist noch ein Phantom, von dem nicht einmal Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) genaueres weiß. Viel wichtiger als eine Autobahn-Vignette ist jedoch, ob der ehemalige Generalsekretär den versprochenen Aufschlag auf die Infrastruktur-Investitionen hinbekommt. Dringend notwendig ist es schon. Von einem Fehlstart der Großkoalition zu sprechen, wäre indessen eine grobe Verzerrung. Selbst die Edathy-Affäre, in deren Folge CSU-Minister Hans-Peter Friedrich abtreten musste, hat das Verhältnis zwischen Kanzlerin und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel nicht ernsthaft zerrüttet. Zum Vergleich: Nach hundert Tagen hatte die schwarz-gelbe Vorgängerregierung noch kein profundes Reformprojekt angeschoben - sieht man einmal von der reduzierten Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen ab.
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