Mittelbayerische Zeitung: Die Kirche muss die Machtfrage beantworten: Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle steht noch am Anfang. Die Opfer sind noch lange nicht damit fertig. Von Christine Strasser
Regensburg (ots)
seine Arbeit führt den Missbrauchsbeauftragten der Diözese Regensburg in Abgründe, und er hat in sie geschaut. Was er erfahren muss, möchte man eigentlich nicht wissen. Dennoch ist seine Arbeit unerlässlich - für die Opfer, für die Kirche, für alle. Alle müssen hinschauen. Die Kirche muss sich den Missbrauchsfällen mit Tätern aus ihren Reihen offen stellen. Sie muss informieren und aufklären. Das ist sie den Opfern und der Gesellschaft schuldig. Erste Schritte sind gemacht. Im Juli hat sich Papst Franziskus zum ersten Mal in seiner Amtszeit mit Opfern sexuellen Missbrauchs getroffen. Nach dem Desaster beim ersten Anlauf versucht die Deutsche Bischofskonferenz nun erneut, den Skandal um Missbrauch in der katholischen Kirche wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. In den einzelnen Bistümern sind etliche Antragsverfahren auf Anerkennung des Leids abgeschlossen. Trotzdem: Die Opfer sind keineswegs damit fertig, aber auch die Kirche ist damit nicht fertig und sie darf es nicht sein. Missbraucht ein Priester seine Macht, ist die Fallhöhe besonders ausgeprägt. Das liegt daran, dass Priester für eine Institution stehen, die hohe moralische Ideale predigt, insbesondere in Fragen der Sexualmoral. Auch wenn davon nichts im Evangelium steht, herrscht gemeinhin die Vorstellung vor, dass Priester Menschen sind, die eine besondere Nähe zu Gott haben. Umso größer ist der Zorn der Öffentlichkeit, wenn Missbrauchsfälle ans Licht kommen. Dieser Zorn gründet nicht nur in Kirchenfeindschaft, er ist Ausdruck tiefer Enttäuschung. Wenn es um die Aufarbeitung des Machtmissbrauches durch sexualisierte Gewalt geht, wird es nie ein Genug geben. Schließlich leiden die Opfer ein Leben lang an den Folgen. Die Verletzungen bleiben, wie der Regensburger Missbrauchsbeauftragte Martin Linder es ausdrückt. Deshalb können auch die Gespräche zwischen Geschädigten und Bischof Rudolf Voderholzer nicht aufhören. Vielmehr sind weitere geplant, wie Linder in seinem Tätigkeitsbericht ankündigt. Die Kirche muss aber auch insgesamt ihr Gesicht ändern, sonst macht sie sich schuldig. Was im Bereich der Prävention geschieht, ist alles sehr glaubwürdig und stimmt optimistisch. Mitarbeiter werden flächendeckend geschult. Eine Kultur der Achtsamkeit soll entwickelt werden. Die Wissenschaftler, die sich mit der Aufklärung des Missbrauchs befassen, haben bereits erklärt, dass sie ihre Ergebnisse auch dann veröffentlich werden, wenn sie mit zentralen Inhalten der Kirche kollidieren. Wenn also herauskommt, dass der Zwangszölibat ursächlich ist für sexuelle Straftaten in der Deckung der Kirche, wollen sie das ungeschminkt so sagen. Da es bei sexualisierter Gewalt im Kern um den Missbrauch von Macht geht, muss sich die Kirche aber auch eine Schlüsselfrage stellen: Wie hält sie es mit dem Umgang mit Macht? Und: Warum tut sich die Kirche, deren Botschaft von Gottes bedingungsloser Liebe handelt, mit so vielen Liebeserfahrungen von Menschen so schwer? Ethische Maßstäbe für den Umgang mit Sexualität sind nötig. Es geht nicht darum, alles zu erlauben. Aber wem hilft ein Regelwerk, für dessen Anwendung in der Lebenspraxis Menschen oft den Preis der Herzlosigkeit zahlen müssen? In der Familiensynode ist es mühsam gelungen, einen Gesprächsfaden aufzunehmen. Er muss dringend weitergesponnen werden, damit Menschen ihren Glauben in ihrer Lebenswirklichkeit leben können.
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