Mittelbayerische Zeitung: Nach dem Betreuungsgeld ist vor dem Betreuungsgeld
Schadenfreude über die CSU ist nach dem Karlsruher Urteil nicht angebracht. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Es ist bereits die dritte Niederlage für die erfolgsverwöhnte bayerische Staatspartei beziehungsweise Landesregierung binnen weniger Wochen. Erst stoppt Brüssel die "Ausländer-Maut" und nun kippen die Karlsruher Richter das familienpolitische Lieblingsgericht der Christsozialen: das Betreuungsgeld. Und obendrein soll es künftig auch keine Wildbad-Kreuth-Postkartenbilder von Klausursitzungen der CSU mehr geben. Die Welt kann so grausam sein. Götterdämmerung der Christsozialen? Allerdings sind, bei Lichte besehen, die Niederlagen der CSU gar nicht so dramatisch, wie sie die zahlreichen Kritiker und Feinde der bayerischen Staatspartei meinen und frohlocken. Ob die Pkw-Maut nicht doch noch die Zustimmung der EU-Kommission in Brüssel beziehungsweise ein positives Urteil des Europäischen Gerichtshofes zuteil wird, ist völlig offen. Auch dass die CSU nicht bereit ist, an die Wittelsbacher horrende Mieten für Kreuth zu zahlen, ist unter der Überschrift: "Sparsamkeit geht vor Historie und früherem Glanz" nur sinnvoll. Doch wie ist das mit dem Betreuungsgeld? Bei aller Häme über die bereits vor Jahren noch unter Edmund Stoiber, Erwin Huber oder Christine Haderthauer und schließlich Horst Seehofer und Gerda Hasselfeldt auf den Weg gebrachte familienpolitische Leistung: Die Karlsruher Verfassungsrichter haben gestern nicht grundsätzlich gegen das Betreuungsgeld geurteilt, sondern lediglich dem Bund die Zuständigkeit dafür abgesprochen. Und das geht auch in Ordnung. Der Bund muss nicht alles regeln, was er glaubt, regeln zu müssen. Doch dies ist ein kleiner, aber gewichtiger Unterschied, der im überlauten Triumphgeheul über eine vermeintliche CSU-Niederlage leicht unterzugehen droht. Das Betreuungsgeld als solches, das Eltern von kleinen Kindern immerhin im Prinzip die Wahlmöglichkeit eröffnet - zu Hause betreuen oder in der Kita betreuen lassen - wurde nicht abgelehnt. Nun müssen die Bundesländer selbst entscheiden, ob es das Betreuungsgeld weiterhin gibt oder ob sie Kitas ausbauen. Das ist gelebter Föderalismus. Freilich kann es sich der prosperierende Freistaat wohl am leichtesten leisten, ein entsprechendes Landes-Betreuungsgeld zu zahlen. Anderen Bundesländern wird das weit schwerer fallen. Und viele wollen den Zuhause-Betreuungszuschuss gar nicht zahlen, sondern das Geld vom Bund lieber in den Kita-Ausbau und die Verbesserung der Qualität der Betreuung stecken. Auch dies sollte möglich sein. Horst Seehofer irrt allerdings, wenn er nun partout vom Bund weiterhin einen solchen Zuschuss für die heimische Kinderbetreuung der unter-drei-jährigen Sprösslinge fordert, wie er bislang gezahlt wurde. Genau davor haben die Verfassungsrichter einen Riegel geschoben. Wirkliche Ideologiefreiheit in der Familienförderung bedeutet nämlich auch, dass weder die Kita noch die Erziehung und Förderung daheim abgegrantelt wird, als wären sie jeweils Teufelszeug. Vielmehr muss bei allen staatlichen Leistungen für Familien das Wohl der Kinder und ihrer Eltern im Vordergrund stehen, nicht die ideologietriefende Debatte über Rollenklischees oder die Notwendigkeit der ständigen Verfügbarkeit von Vätern und Müttern für den Job. Das bisherige Betreuungsgeld ist Geschichte, wenngleich die bisherigen Bezieher dieser Leistung es auch bis zum Ende der bewilligten Zeit bekommen werden. Doch nach dem Betreuungsgeld ist vor dem Betreuungsgeld.
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