Mittelbayerische Zeitung: Die Mittelbayerische Zeitung aus Regensburg über die Rentenreformen der vergangenen Jahre
Regensburg (ots)
Von Reinhard Zweigler
Reiches Land, arme Alte?
Im Durchschnitt war der Teich nur einen Meter tief, trotzdem ist die Kuh ersoffen. Mit den in Statistiken ermittelten Durchschnittswerten ist es so eine Sache. Im Durchschnitt geht es "den Deutschen" relativ gut. Deutschland ist ein reiches Land. Frieden, gut bezahlte Jobs, persönliche Freiheit werden hoch geschätzt. Auch die Altersbezüge sind in diesem Jahr kräftig, das heißt stärker als in den Jahren davor geklettert. Das hat vor allem mit gestiegenen Löhnen und zunehmender Beschäftigung zu tun. Auch werden die Nullrunden und nur mickrigen Rentenzuwächse vergangener Jahre aufgeholt. Doch dies ist nur eine vorübergehende, eine scheinbare Besserung im Rentensystem. Die wirklich harten Einschnitte kommen erst noch. Außerdem wird beim Lesen von Statistiken oft übersehen, dass in eben diesem Durchschnitt (Die Rentenversicherung hat gewissermaßen den Eckrentner Max Mustermann mit 45 Berufsjahren und durchschnittlichem Einkommen "erfunden") auch millionenfache Ausreißer nach oben und nach unten versteckt sind. Wer mehr als den Durchschnitt verdiente, durchgehend beschäftigt war und privat oder betrieblich fürs Alter vorsorgen konnte, der braucht sich um seinen finanzielle Situation im Ruhestand keine, nun ja kaum, Sorgen zu machen. Ganz anders jedoch sieht es bei Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen aus. Vor allem Frauen, die für die Familie, die Kinder, zu Hause geblieben sind, trifft es im Alter oft böse. Altersarmut in Deutschland ist vor allem weiblich. Die betroffenen Frauen erhalten häufig nur Minirenten und müssen Grundsicherung beantragen. Was viele gar nicht tun, aus Scham, weil sie den Gang zum Sozialamt scheuen oder weil sie es nicht wissen. Noch sind die absoluten Zahlen von Menschen in Altersarmut vergleichsweise gering. Die Statistik weist einstellige Prozentwerte aus. Betroffenen helfen solche Zahlen herzlich wenig. Hier reift ein gesellschaftliches Problem heran, das enorme soziale Sprengkraft birgt. Die Rentenreformen der vergangenen Jahre, die ein schrittweise sinkendes Rentenniveau sowie eine längere Lebensarbeitszeit festschrieben, benachteiligen Geringverdiener. Und davon gibt es nahezu acht Millionen. Ökonomen sprechen von atypischer Beschäftigung. Der Mindestlohn von 8,50 Euro und ab dem kommenden Jahr 34 Cent mehr hat das Problem nicht heilen können, sondern nur die Auswüchse nach unten werden etwas abgemildert. Doch wer nur den Mindestlohn bekommt, kann kaum privat gegen die drohende Rentenlücke vorsorgen. Wie auch? Wer mit seinem Minilohn gerade so über die Runden kommt, kann nichts in die Riester-Vorsorge einzahlen und sein Arbeitgeber denkt kaum an betriebliche Vorsorge. Das rot-grüne Riester-Projekt, das mit Milliarden vom Staat bezuschusst wird, hat sich zudem als die Lizenz zum Gelddrucken für Versicherungen entpuppt. In der jetzigen Niedrigzinsphase geraten allerdings auch die unter Druck. Union und SPD sind erschreckend uneins in der Rentenpolitik. Der Befund des jetzigen Alterssicherungsberichts, Geringverdiener sollten bitte schön zusätzlich vorsorgen, ist nicht nur eine Kapitulation vor dem Problem der wachsenden Armut im Alter, sondern auch zynisch. Hier werden Ursache und Wirkung verdreht. Eine sehr große Koalition aus SPD, Union und Grünen ebnete vor Jahren den Weg in den Niedriglohnsektor, machte Arbeit flexibler und billiger. Mit den Nebenwirkungen dieser Politik will man nun am liebsten nichts zu tun haben. Wenn sich Ende der Woche die Spitzen der Union über die künftige Rentenpolitik beugen, dann sollten sie sich zuerst ehrlich machen. Und zweitens wirksame Haltelinien gegen Altersarmut auf den Weg bringen.
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