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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel "Zurück nach Leipzig" von Heinz Gläser

Regensburg (ots)

Aus Leipzig sollte das Signal des Aufbruchs kommen. Dort, wo 14 Jahre zuvor mit den Montagsdemonstrationen der friedliche Umsturz in der DDR eingeläutet worden war, versammelte sich die Christlich Demokratische Union Ende 2003, um Deutschland den Weg in eine strahlende Zukunft zu weisen. Rund 1000 Delegierte beschlossen einen radikalen programmatischen Kurswechsel in der Sozialpolitik sowie ein revolutionär vereinfachtes Steuerkonzept. Das Land ächzte unter Arbeitslosigkeit und galt ökonomisch als "kranker Mann Europas", so das geflügelte Wort jener Zeit. Die rot-grüne Bundesregierung war konzeptionell vor der Zeit ermattet und flüchtete sich unter Kanzler Gerhard Schröder aus der Notlage in die Agenda 2010, die wiederum die SPD bis heute in große Not stürzt. Man muss sich den damaligen Zeitgeist vergegenwärtigen, um Angela Merkels zur Neige gehende Kanzlerschaft einzuordnen. En vogue waren die Ideale des ungezügelten Finanzkapitalismus angelsächsischer Prägung, neoliberale marktwirtschaftliche Ideen hatten Konjunktur. Die CDU-Vorsitzende Merkel stellte sich an die Spitze der radikalen Erneuerer, doch parteiinterner Vordenker blieb der von ihr hierarchisch ins zweite Glied verbannte Friedrich Merz. Freilich geriet die von CDU/CSU und FDP als Selbstläufer eingestufte Bundestagswahl 2005 beinahe zum Desaster. Merkel erachtete mit dem kühlen Blick der Naturwissenschaftlerin die Leipziger Versuchsanordnung für ideologisch gescheitert. Mit dem sicheren Instinkt der Machtpolitikerin und unter dem Einfluss ihr nahestehender Demoskopen korrigierte sie ihren Kurs und rückte ihre Partei - je nach Deutung - wieder in die Mitte oder nach links. Mit der Agenda 2010 fand sie zudem ein Fundament vor, das sich sozialpolitisch auch für die Christdemokraten als tragbar erweisen sollte. Friedrich Merz indes war ab diesem Zeitpunkt programmatisch obsolet, ein Mann von gestern. Die Abschaffung des Kündigungsschutzes oder die Einführung der 42-Stunden-Woche, zwei Forderungen des frühen Merz, waren in der Partei nicht mehr mehrheitsfähig. Wenn mit Friedrich Merz nun eine fast schon der kollektiven Vergessenheit anheimgefallene Gestalt wie Kai aus der Kiste die Debatte um die Nachfolge Merkels aufmischt, dann zeigt dies vor allem, wie sehr mittlerweile der allgemeine Überdruss am politischen Personal und den Inhalten gewachsen ist. Es zeigt zweitens, wie die CDU nach den langen Jahren vermeintlicher merkelscher Beliebigkeit nach ideologischer Neuausrichtung und konservativer Verankerung giert. Merz' Konzepte von einst sind ja überholt, gesellschafts- wie wirtschaftspolitisch. Spätestens die globale Finanzkrise führte die kühnen Ideen des CDU-Parteitags 2003 ad absurdum. Ob der schneidige Jurist aus Nordrhein-Westfalen geschmeidig genug ist, sich im Amt an der Spitze der letzten verbliebenen Volkspartei ideologisch zu häuten, steht dahin. Seine Chancen auf die Nachfolge von Merkel stehen dennoch nicht schlecht. Die Widersacherin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich als nur mühsam kaschierte Merkel-Kopie klar für ein Weiter-so positioniert, sie ist als Zielscheibe des Überdrusses parteiintern leicht identifizierbar. Die Kür von Friedrich Merz würde die Tektonik der politischen Landschaft verschieben. Nur für die um ihre Daseinsberechtigung ringende SPD wäre sie zweifellos ein Segen, weil sie ohne eigenes Zutun wieder programmatische Gräben definieren könnte. Bleibt eine Frage, vor der schon die CSU nach dem bitteren Ergebnis der Landtagswahlen im Oktober ziemlich ratlos stand: Warum um Himmels willen kann im international ob seiner Stabilität beneideten und ökonomisch florierenden Deutschland der Ruf nach Veränderungen so laut werden? Friedrich Merz könnte ein Profiteur dieser schwer zu fassenden Stimmungslage sein. Was für jemanden, der beruflich vor allem mit Profit befasst war, allemal ganz treffend wäre.

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