Mittelbayerische Zeitung: Lasst die anderen reden!
Eine Mehrheit der Deutschen glaubt, sie könnte öffentlich nicht mehr alles sagen. Dabei leben wir doch in einem der freiesten Länder der Welt. Leitartikel von Christian Eckl
Regensburg (ots)
Die Zahl ist erschreckend: 78 Prozent der Deutschen glauben laut einer Umfrage des Instituts Allensbach, man müsse mit seiner Meinung in der Öffentlichkeit vorsichtig sein. Dabei wird doch in Deutschland niemand eingesperrt, wenn er sagt, was er denkt - anders als ist in vielen Ländern dieser Welt. Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter, die wir haben. Gerade in Deutschland wurde sie mit Blut und Tränen erkämpft. Und die Debatte ist das Lebenselexier der Demokratie. Sie ist bedroht, wenn man sich nicht mehr alles sagen traut. Journalisten, deren Arbeitsgrundlage die Meinungsfreiheit ist, kennen das Dilemma vom Streit darüber, ob man die Herkunft von Straftätern nennt oder nicht. Lässt man sie weg, schreien rechte Kreise, man wolle etwas vertuschen. Nennt man die Herkunft, wird man von Linken verdächtigt, Fremdenhass zu schüren. Weil allein der Frage nach der Herkunft eines Täters der Verdacht des Rassismus innewohnt, wird jede Ursachenforschung ausgeblendet. Das ist nicht nur falsch, das ist schädlich. Sobald einem ausländischen Staatschefs einmal das Etikett "rechtspopulistisch" verpasst wurde, tritt in den Hintergrund, was eigentlich die Gründe für seinen Erfolg bei den Wählern sind. Dabei wäre doch die Frage interessant, warum Donald Trump so hohe Zustimmungswerte unter seinen Getreuen hat. Trump ist schlecht für unsere Wirtschaft, das ist wahr. Aber kann es sein, dass er gut für die USA ist, zumindest in den Augen seiner Wähler? Wer solche Fragen stellt, gilt ganz schnell als fehlgeleiteter Trump-Versteher. Auch in der seit Jahren geführten Debatte um die Seenotrettung kennt man diese Mechanismen. Kaum jemand wagt noch öffentlich zu fragen, welche Herkunft die Menschen haben, die nach Europa gebracht werden. Haben sie Anrecht auf Asyl oder kommen sie aus Ländern, in denen weder Krieg noch Verfolgung herrschen? Wer hier Fragen stellt, steht prompt im bösen Verdacht, er wolle Menschen ertrinken lassen. Die Debatte auf diese Weise einfach zu unterdrücken, ist jedoch gefährlich und spielt dem Rechtspopulismus in die Hände. Zurzeit wird häufig der Eindruck erweckt, unsere Demokratie sei allein von Rechtsextremen bedroht. Die sitzen jetzt erschreckenderweise tatsächlich in Gestalt von AfD-Abgeordneten in den Parlamenten. Extremismus gibt es aber nicht nur am rechten Rand des politischen Spektrums: Was ist mit den "Aktivisten", die kürzlich verhinderten, dass Ex-Innenminister Thomas de Maizière aus seinem Buch liest? Was ist mit jenen, die einen vom Staat berufenen Wirtschafts-Professor Bernd Lucke niederbrüllen, der an seiner Uni eine Vorlesung halten will? Das kann er mittlerweile nur noch mit Polizeischutz. Schwer nachvollziehbar ist auch, dass ein Katholikenrat Fürstin Gloria von Thurn und Taxis und Kardinal Gerhard Ludwig Müller aus Kirchenräumen wirft. "Die konservativen Äußerungen des Kardinals entsprechen ganz sicher nicht der Denke der Mehrheit unseres Gremiums", ist die Begründung. Selbst ehemalige Glaubenshüter sind manchem Katholikenrat nicht mehr päpstlich genug. Die Väter des Grundgesetzes haben uns eine glasklare Leitlinie geschenkt: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten." Natürlich hat die Meinungsfreiheit Grenzen: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre." Das Grundgesetz kann und muss dem öffentlichen Diskurs Kompass sein. Ausgerechnet die Kommunistin Rosa Luxemberg hat einen zentralen Satz formuliert: Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Jenseits von Hass und Hetze, die Fälle für den Staatsanwalt sind, müssen wir für Meinungspluralität eintreten. Die Demokratie ist nicht nur durch Hetzer bedroht. Sie kann auch an den Knebeln derer ersticken, die andere Meinungen nicht aushalten wollen.
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