Mittelbayerische Zeitung: Frauen in der Armutsfalle. Viele Seniorinnen zählen laut Schuldneratlas 2019 zu den großen finanziellen Verlierern. Das sollten schon die heute 30-Jährigen ins Kalkül ziehen. Von Marion Koller
Regensburg (ots)
Das wohlhabende Bayern sticht im neuen Schuldneratlas der Creditreform alle anderen Bundesländer aus. Im Freistaat sind die wenigsten Privatleute überschuldet. "Nur" 7,3 Prozent der über 18-Jährigen kriegen ihre finanzielle Situation nicht in den Griff. Bundesweit sind es zehn Prozent. In Regensburg mit seinen - immer noch - vielen Toparbeitsplätzen läuft es schlechter als im Bayernschnitt. Zwar ist auch in der Domstadt die Zahl der Hochverschuldeten leicht gesunken, doch alarmierende neun Prozent können sich nicht mehr aus der Schuldenfalle befreien. Das ist auch eine Folge der drastisch steigenden Miet- und Immobilienpreise. "Wohnen ist in deutschen Großstädten zum Armutsrisiko, in jedem Fall zum Überschuldungsrisiko geworden", heißt es im Schuldneratlas. Besonders betroffen sind Ältere über 60, vor allem Frauen. Die Schuldenhöhe: im Schnitt 47 400 Euro. Das kann so nicht weitergehen, zumal in den nächsten Jahren die Babyboomer in die Rente wechseln und das Problem verschärfen. Die Stadt und der Gesetzgeber müssen schneller handeln, aber auch jede Frau muss sich genau überlegen, ob sie ihr Erwerbsleben unterbricht. Ein paar positive Nachrichten meldet der Schuldneratlas. Das flache Land in der Region kommt gut weg. Neumarkt zählt zu den zehn Landkreisen mit der niedrigsten Überschuldungsquote (5,24 Prozent), das Regensburger Umland hat 5,7 Prozent. Auch der Kreis Cham weist nur sechs Prozent auf und Kelheim knapp 6,5. Das spiegelt wider, dass das Wohnen im Umland einigermaßen erschwinglich ist. In Regensburg dagegen öffnet sich die Schere zwischen Alterseinkommen und Mieten weiter. Die Überschuldung besonders von Seniorinnen verschärft sich. Die Ehrenamtlichen von der Regensburger Tafel beobachten mit Sorge, dass sich immer mehr ältere Frauen Lebensmittel bei ihnen holen. Lokale Zahlen gibt es keine. Aber die Tafel Deutschland beobachtet einen dramatischen Anstieg. Innerhalb eines Jahres kamen 20 Prozent mehr alte Menschen. Bei der Schuldnerberatung des Caritasverbands für die Diözese Regensburg wächst der Anteil der ratsuchenden Seniorinnen, die nicht mehr weiter wissen, weil ihnen nur 100 Euro im Monat zum Leben bleiben. Sie haben im Niedriglohnsektor gearbeitet oder die Berufstätigkeit wegen der Kindererziehung unterbrochen. Kommt eine Scheidung dazu, landen sie in der Armuts- und Schuldenfalle. 2000 Menschen in Regensburg beziehen Grundsicherung, die Sozialhilfe für Rentner. Mit steigender Tendenz. Die Dunkelziffer ist hoch, denn viele schämen sich. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung untersuchte im Juli 2019 die bundesweite Entwicklung der Wohnkosten von Haushalten mit einer Person ab 65 Jahren. Ergebnis: In dieser Altersgruppe hat sich der Anteil der Haushalte, die eine Mietbelastungsquote von mehr als 30 Prozent aufweisen, von 38 auf 63 Prozent stark erhöht. Ein Maßnahmenbündel ist nötig: Regensburg sollte über geförderte Wohnungen für die ältere Generation und über einen Mietenstopp wie in Berlin nachdenken. Eine 40-prozentige Sozialquote für Neubaugebiete hat die Stadt bereits beschlossen. Es sind nach wie vor die Mütter, die den Löwenanteil der staatlich bezahlten Elternzeit nehmen. Der Gesetzgeber muss das mit zusätzlichen Anreizen ändern. Das Risiko, in die Altersarmut zu schlittern, kann mit dem ersten Kind beginnen. Längere Jobpausen und Teilzeit reduzieren die spätere Rente. Junge Mütter sollten lieber den Partner und die Kita einspannen als jahrelang zuhause bleiben.
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