Bundesverwaltungsgericht erlaubt betäubungsloses Schächten
Verfassungsgut Tierschutz mit Füßen getreten - Kein Urteil im Namen des Volkes und des Gesetzgebers
Heikendorf (ots)
Das Bundesverwaltungsgericht hat das betäubungslose Schlachten von Tieren (Schächten) aus religiösen Gründen auch nach Aufnahme des Staatsziels Tierschutz in die Verfassung erlaubt. In ihrer Entscheidung (BVerwG 3 C 30.05) stellten die Richter des Obersten Verwaltungsgerichts heute fest, dass die Einführung des Staatszieles Tierschutz an der Auslegung der Vorschriften des sogenannten Schächtparagraphen nichts ändert.
Insbesondere die Begriffe "Religionsfreiheit" und "zwingende Vorschriften" seien, wie vom Bundesverfassungsgericht 2002 vorgegeben, auszulegen. Danach sei auch eine Gruppe Gläubiger als Religionsgemeinschaft zu bezeichnen, wenn deren Mitglieder gemeinsam der Überzeugung sind, nur Fleisch betäubungslos geschlachteter Tiere verzehren zu dürfen. Als zwingende Vorschrift reiche die individuelle Überzeugung und glaubhafte Darlegung dieser Überzeugung aus.
"Damit hat das Bundesverwaltungsgericht das Staatsziel Tierschutz als hohle Phrase gewertet", kritisiert Sandra Gulla, Juristin und Vorsitzende von PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V., die höchstrichterliche Entscheidung. Die Aufnahme des Staatsziels Tierschutz sei offenbar ohne Konsequenzen für die Rechtsprechung geblieben.
Mit seinem Urteil stellt sich das Bundesverwaltungsgericht gegen den Willen von Gesetzgeber und Bevölkerung. Denn der Tierschutz wurde 2002 nach einer hitzigen öffentlichen Debatte über die Zulässigkeit des betäubungslosen Schächtens in die Verfassung aufgenommen. Damals hatte die Rechtsprechung aufgrund der in der Verfassung verankerten Religionsfreiheit das betäubungsloses Schächten ohne Rücksicht auf Tierschutzaspekte unter relativ geringen Voraussetzungen für zulässig erklärt.
Kein Urteil im Namen des Volkes: Noch im September dieses Jahres sprachen sich in einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Stiftung Albert Schweitzer für unsere Mitwelt 72% der Wahlberechtigten für ein generelles Verbot des betäubungslosen Schächtens aus. "Eine Elektro-Kurzzeit-Betäubung der Tiere vor dem Schächtschnitt ist mit der Religionsfreiheit zu vereinbaren und aus Tierschutzsicht eine zwingende Maßnahme zur Vermeidung von Schmerzen und Leiden des Tieres", so Sandra Gulla. Sie beruft sich bei ihrer Einschätzung unter anderem auf Rechtsgutachten islamischer Religionswissenschaftler, zum Beispiel der türkischen Anstalt für religiöse Angelegenheiten (Diyanet Isleri Baskanligi) in Ankara und der Al-Azhar-Universität in Kairo.
"PROVIEH wird nun eine von Hessen vorbereitete und von mehreren Bundesländern, unter anderem Schleswig-Holstein, mitgetragene Bundesratsinitiative mit allen Kräften unterstützen, die eine Änderung des so genannten Schächtparagraphen zum Ziel hat", kündigte Sandra Gulla unmittelbar nach Abschluss des Verfahrens an. Hessen plant, eine betäubungslose Tötung nur zu gestatten, wenn der Antragsteller den Nachweis erbringt, dass das Tier dabei weniger leidet als bei einer vorherigen Kurzzeitbetäubung.
Hintergrund des Verfahrens:
Ein muslimischer Schlachter hatte geklagt, nachdem der Lahn-Dill-Kreis als zuständige Behörde ihm die nach dem Tierschutzgesetz notwendige Ausnahmegenehmigung für die betäubungslose Schächtung von Rindern und Schafen verweigert hatte. Grundsätzlich darf ein warmblütiges Tier gem. § 4 a Tierschutzgesetz nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzuges betäubt worden ist. Eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) kann nach § 4a Abs. 2 Tierschutzgesetz jedoch erteilt werden, wenn zwingende religiöse Gründe ein betäubungsloses Schächten vorschreiben.
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