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Landeszeitung Lüneburg: Interview mit FDP-Chef Guido Westerwelle (Sperrfrist: 23 Uhr)

Lüneburg (ots)

,,Einen guten Tag für die Postboten" nennt
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) die gestrige Einigung auf 
einen Post-Mindestlohn. Scharfe Kritik übt dagegen FDP-Parteichef Dr.
Guido Westerwelle an dem Kompromiss: ,,Wenn wir die Löhne künftig vom
Staat festsetzen lassen, wie es jetzt durch die Koaltion bei der Post
geschieht, dann ist mir das zu viel DDR", betont der Liberale im 
Interview mit der Landeszeitung: ,,Dann werden irgendwann auch die 
Preise vom Staat festgesetzt." FÏr den OppositionsfÏhrer hat eine 
solche Entscheidung nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun 
-- ,,das ist Planwirtschaft."
Herr Dr. Westerwelle: ,,Mehr Mut, mehr Markt" lautet Ihre Devise. 
Ist die FDP die letzte verbliebene Bastion der bürgerlichen Mitte? 
Dr. Guido Westerwelle: Wenn die Union weiter der SPD und den Grünen 
nach links hinterher rutscht, lautet die Antwort ganz klar: Ja! Wir 
bleiben Anhänger der sozialen Marktwirtschaft, denn wir finden, dass 
Leistungsgerechtigkeit kein bisschen weniger wichtig ist als soziale 
Gerechtigkeit.
Die große Koalition verweist auf die Erfolge ihrer 
Wirtschaftspolitik. Deutschland ist Exportweltmeister. Die 
Arbeitslosenzahlen sind auf dem tiefsten Stand seit den 
1990er-Jahren. Ist die Regierung erfolgreicher, als Sie es in der 
Opposition wahrhaben wollen? Westerwelle: Erstens haben wir noch eine
boomende Weltwirtschaft, die endlich auch zu einer besseren 
Konjunktur in Deutschland geführt hat. Zweitens: Gerade weil wir eine
gute Konjunktur haben, müssten wir jetzt Vorsorge treffen für die 
Zeit eines möglichen Abschwungs. Denn dass längst dunkle 
Gewitterwolken am Horizont der Weltkonjunktur aufziehen, weiß man 
nicht erst seit der amerikanischen Immobilienkrise.
Vielleicht macht sich auch gerade deshalb bei der Mittelschicht in 
Deutschland zusehends Angst breit vor Arbeitslosigkeit, dem 
Abrutschen in das soziale Abseits. Wie will die FDP den Bürgern diese
Sorgen nehmen? Westerwelle: Die Probleme, die wir in Deutschland 
haben, kommen doch nicht von zuviel sozialer Marktwirtschaft. Die 
kommen von zuviel bürokratischer Staatswirtschaft, von zu hohen 
Steuern, von einer zu großen Abgabenbelastung. Und trotzdem macht 
diese Regierung munter weiter Schulden. Das wollen wir ändern. 
Deshalb werden wir als FDP, wenn wir die Verantwortung übernehmen, 
ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersys"tem 
durchsetzen. Das hilft dem Mittelstand und damit gerade denen, die 
den Karren in Deutschland ziehen.
Kritik bekommt die FDP von den Gewerkschaften und vielen älteren 
Arbeitslosen, weil Sie die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für 
falsch hältu? Westerwelle: Weil sie falsch ist! Richtig ist es, das 
Geld im Sinne der Menschen in neue Arbeitsplätze zu investieren -- 
und nicht in die Verlängerung von Arbeitslosigkeit.
Und dazu braucht es aber erst einmal genügend neue Arbeitsplätze? 
Westerwelle: Durch strukturelle Veränderungen im Bereich der älteren 
Beschäftigten ist dort die Arbeitslosigkeit um 20 Prozent 
zurückgegangen. Wa"rum soll man das, was jetzt endlich wirkt, wieder 
zurückdrehen? Nochmals: Wir müssen die Mittel, die wir haben, in die 
Verkürzung der Arbeitslosigkeit stecken und nicht in die längere 
Begleitung der Arbeitslosigkeit.
Unzufrieden sind viele Menschen auch, weil sie trotz guter 
Konjunkturdaten immer weniger Geld im Portemonnaie haben. Ein Grund 
ist dabei auch die dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung. Hätte es 
die auch mit der FDP in Regierungsverantwortung gegeben? Westerwelle:
Nein! Denn die Mehrwertsteuererhöhung hat die Bürger nicht alleine 
getroffen. Dazu kommen die höhere Versicherungssteuer, die Kürzung 
von Pendlerpauschale und Sparerfreibetrag, die Streichung der 
Eigenheimzulage, die Erhöhung der Kosten bei Gesundheit, Rente und 
Pflege u All das hat dazu geführt, dass nach der größten Steuer- und 
Abgabenerhöhung in der Geschichte der Republik zu Beginn dieses 
Jahres eine durchschnittliche Familie 1600 Euro weniger im 
Portemonnaie zur Verfügung hat als noch im Jahr zuvor. Kein Wunder 
also, dass die Mehrheit der Deutschen sagt: Der Aufschwung kommt bei 
uns nicht an! Genau diese vergessene Mitte muss nun endlich 
entlas"tet werden -- das hat Vorrang.
Ablehnend äußert sich die FDP zu Forderungen der Gewerkschaften nach 
der Einführung von Mindestlöhnen. Gönnen Sie den Arbeitnehmern kein 
angemessenes Geld für angemessene Arbeit? Westerwelle: Was nutzt denn
dem Arbeitnehmer ein staatlich festgesetzter Brutto-Mindestlohn auf 
dem Papier, wenn die Regierung gleichzeitig dafür sorgt, dass immer 
weniger Netto in der Tasche der Arbeitnehmer übrig bleibt? Die 
Netto-Frage ist deshalb die eigentliche Gerechtigkeitsfrage. Wenn wir
die Löhne künftig vom Staat festsetzen lassen, wie es jetzt durch die
Koalition bei der Post geschieht, dann ist mir das zu viel DDR. Dann 
werden irgendwann auch die Preise vom Staat festgesetzt. Das ist 
nicht mehr soziale Marktwirtschaft, das ist Planwirtschaft. Mehr 
Netto vom Brutto -- das wäre sozial.
Laut DIHK-Umfrage droht Deutschland aufgrund der sinkenden 
Geburtenrate bald ein Fachkräftemangel. Wie kann die Politik dem 
begegnen? Mit verstärkten Ausbildungsbemühungen, oder vielleicht mit 
der Einführung der "Bluecard?" Westerwelle: Bildung ist die 
entscheidende Zukunftsfrage. Wir haben doch keinen anderen Rohstoff. 
Wer Geld ausgibt für Schulen, Hochschulen, Wissenschaft und 
Forschung, der investiert in unseren Wohlstand von morgen. Deshalb 
müssen wir alle Chancen nutzen -- genau deshalb sagen wir Liberale 
entschieden ja zu neuen Technologien, von der Gen- und Biotechnologie
über die erneuerbaren Energieträger bis hin zur Kerntechnologie. Und 
weil wir eine weltoffene und tolerante Gesellschaft wollen, gehört 
dazu, dass wir ausländische Studenten, die bei uns etwas gelernt 
haben, nicht mehr nach dem Examen hinausdrängen.
Was muss denn die Regierungskoalition jetzt unternehmen, um 
wirtschaftliche und soziale Rückschläge zu verhindern? Westerwelle: 
Ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem ist das 
dringliche Gebot der Stunde. Unsere Nachbarn sind diesen Schritt 
bereits gegangen oder sind zurzeit dabei. Ein modernes Steuersystem 
ist deshalb so entscheidend, weil die Bürger, die hart arbeiten, dann
auch die Früchte ihres Fleißes ernten können. Wer mehr Geld zur 
Verfügung hat, konsumiert und investiert auch wieder mehr. Und wo 
gekauft wird, da entstehen auch neue Arbeitsplätze und gesündere 
Staatsfinanzen. Wir wissen, dass Wirtschaft nicht alles ist. Aber wir
wissen auch, dass ohne Wirtschaft alles nichts ist: ohne Wohlstand 
keine Kultur, keine Bildungschancen, keine sichere Rente.
Stichwort große Koalition: Was glauben Sie, wie lange wird das 
Bündnis noch halten? Westerwelle: Es ist sehr gut möglich, dass 
dieses Bündnis den regulären Wahltermin im Herbst 2009 nicht 
erreichen wird. Deshalb kann ich nur sagen: Da ist Schwarz-Gelb in 
Hannover ein wohltuendes Kontrastprogramm.
Um in Regierungsverantwortung zu kommen, müssen sie aber erst einmal 
Wahlen gewinnen. Doch laut Umfragen steht die FDP bei nur etwa acht 
Prozent. Viele jüngere Wähler sagen sogar: "FDP findet bei uns nicht 
statt!" Machen Sie da nicht etwas falsch? Westerwelle: Wir haben bei 
der Bundestagswahl fast zehn Prozent geholt -- das ist eines der 
besten Ergebnisse in der Geschichte der FDP. Wir haben bei 40 Wahlen 
in den vergangenen Jahren 35 Mal zugelegt. Natürlich freuen wir uns, 
wenn wir noch stärker werden, aber: Das ist doch schon eine solide 
Erfolgsgeschichte, die wir vorweisen können. Überhaupt: Der 
Politikwechsel ist bei der Wahl 2005 ja nicht an der FDP, sondern an 
einer abstürzenden Union gescheitert.
Können Sie sich dann trotzdem wieder ein Bündnis mit der Union 
vorstellen? Westerwelle: Dass mir die Union trotz ihres Linkstrends 
immer noch lieber ist als die Grünen und die Sozialdemokraten, die 
mit Siebenmeilen-Stiefeln hinter der Links-Partei hinterher rennen, 
muss ich nicht verschweigen.
Welche arbeitsmarktpolitische Maßnahme wird die erste sein, die die 
FDP im Falle einer Regierungsbeteiligung anstreben wird? Westerwelle:
Die Einführung eines niedrigeren, einfacheren und gerechteren 
Steuersystems -- die Mutter aller Reformen.
Das Gespräch führte Klaus Reschke

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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