Landeszeitung Lüneburg: Bischof Wolfgang Huber über die Haltung des Vatikans zur Pius-Bruderschaft: "Judenhass hat in der Kirche keinen Ort"
Lüneburg (ots)
Trotz klarer Stellungnahmen des Papstes gegen Antisemitismus und damit einer Distanzierung vom britischen Bischof und Holocaust-Leugner Williamson bleibt der Vatikan in der Kritik. Die Wiederaufnahme der Pius-Bruderschaft in die katholische Kirche nährt auch in der evangelischen Kirche Sorgen um die Ökumene. Denn: Die ultrakonservativen Pius-Brüder wollen nun den Vatikan von ihrer Sicht missionieren, dass die katholische Kirche die einzig wahre Kirche sei. Bischof Professor Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, mahnt gegenseitigen Respekt an.
Auch wenn den Kirchenaustritten die Schlagzeilen gehören, stellen Sie einen gegenläufigen Trend fest: Seit der Jahrtausendwende stellen sich die Menschen vermehrt Sinnfragen. Gibt es ein Comeback des Glaubens?
Bischof Huber: Es gibt eine neue Aufmerksamkeit für Fragen des Glaubens und der Religion bei gleichzeitiger Glaubensfremdheit und Kirchendistanz. Beide Strömungen gehören zusammen. Das hat zur Folge, dass das neue Interesse für Religion nicht automatisch den Kirchen zugute kommt. Ich spüre das besonders im Osten Deutschlands. Dort gilt in besonderem Maße: Die Menschen haben die Kirche in Massen verlassen, aber sie sind nur als Einzelne zurückzugewinnen. Dennoch sind die Kirchenaustritte nicht das Hauptproblem der Kirchen, sondern der demographische Wandel. Die Zahl unserer Kirchenmitglieder sinkt, weil die Zahl der Deutschen insgesamt zurückgeht. Natürlich bedaure ich jeden einzelnen Kirchenaustritt, doch man muss auch erkennen, dass die Zahl der Kirchenaustritte in den vergangenen zehn Jahren stetig gesunken ist.
Sie haben 2006 einen "Marktverlust der Kirchen in ihrem Kerngeschäft" beklagt. Konnten die Kirchen mit diesem Defizit von der neuen Spiritualität profitieren?
Bischof Huber: Ich würde es anders formulieren, nämlich positiv: Es ist Zeit für die Kirchen, sich auf ihre Kernkompetenzen zu besinnen, weil sie nur so eine Ausstrahlung gewinnen, die anziehend ist für die Menschen. Folglich gibt es zwei Eckpunkte des Reformprozesses der evangelischen Kirche: Besinnung auf die zentralen Grundlagen und Aufgaben der Kirche sowie Orientierung nicht nur an der treuen Kerngemeinde -- so gut und wertvoll es ist, dass es sie gibt --, sondern eine verstärkte Hinwendung zu den Menschen, die der Kirche bisher eher distanziert gegenüberstehen.
Wo müssen die Kirchen dann konkret ihren Schwerpunkt legen -- bei der Bibelarbeit oder beim sozialen Engagement?
Bischof Huber: Wir haben in den vergangenen Jahren die Einsicht vertieft, dass die Anziehungskraft lebendiger Gottesdienste in Gestalt guter Liturgie, qualitätvoller Kirchenmusik und überzeugender Predigt untrennbar mit der Präsenz der Kirche in der Gesellschaft -- und dort besonders mit ihrem Einsatz für die Schwachen -- zusammengehört. Wir wollen eine Kirche sein, in der Beten und Tun des Gerechten, das verkündigte Wort und die gelebte Nächstenliebe eins sind.
Religion wird verstärkt benutzt, um sich abgrenzend zu anderen zu definieren. Wie muss sich die evangelische Kirche da positionieren?
Bischof Huber: Wir haben schon vor 15 Jahren in diesem Zusammenhang die Formel "Identität und Verständigung" geprägt. Um sich mit anderen zu verständigen, bedarf es eines klaren Wissens um die eigene Identität. Diese Einsicht hat sich bewährt, besonders im Verhältnis zu den Muslimen in Deutschland seit dem 11. September 2001. Aber wir wissen auch, dass Zusammenleben viel Verständnis und Einfühlungsvermögen erfordert. Beides -- die klare eigene Position und der ernsthafte Wunsch nach Verständigung -- kommt in der Handreichung der EKD "Klarheit und gute Nachbarschaft" aus dem Jahr 2006 zum Ausdruck, die sich mit unserem Verhältnis zu den Muslimen in Deutschland beschäftigt.
Zwingen inter-religiöse Auseinandersetzungen wie der Karikaturenstreit auch die verweltlichten westlichen Gesellschaften, sich zu fragen, was sie eigentlich zusammenhält?
Bischof Huber: Solche Auseinandersetzungen verpflichten uns als christliche Kirchen dazu, unseren Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft zu leisten. Denn die Gesellschaft lebt von Voraussetzungen, die sie nicht selbst hervorbringen kann. So hat es der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde treffend ausgedrückt. Die Besinnung auf die Kraftquelle des christlichen Glaubens und die Verdeutlichung seines Wertes für unsere Gesellschaft ist eine der zentralen Aufgaben der Kirche. Diese Aufgabe können wir durchaus beherzter angehen, als das in der Vergangenheit geschehen ist. Jahrhunderte lang hielt man diese Quelle für selbstverständlich, dann sind wir seit den Siebzigerjahren durch eine lange Phase des Traditionsabbruchs gegangen. Nun haben wir erkannt, dass wir das Bewusstsein für diese Quellen erneuern müssen. Das ist in erster Linie ein Bildungsauftrag. Wir müssen das Glaubenswissen der Menschen stärken, damit sie ihren Glauben auch verstehen können.
Kein Verständigungsprob"lem sollte es zwischen gläubigen Christen und Muslimen hinsichtlich der im Karikaturenstreit entstandenen Wut geben. Denn: "Du sollst Dir kein Gottesbildnis machen" heißt es auch in den Zehn Geboten...
Bischof Huber: Das biblische Bilderverbot ist auch in den christlichen Kirchen umstritten. Für alle aber gilt: Du sollst nicht ein von Menschen gemachtes Bild von deinem Gott machen. Damit ist aber auch generell gemeint, wir sollen nichts Weltliches zum Götzen machen. Eine höchst aktuelle Forderung! Zugleich gibt es gute Gründe dafür, respektvoll mit dem umzugehen, was uns selbst oder anderen heilig ist. Aber so sehr man den Respekt von Muslimen gegenüber dem Bild des Propheten achtet, so unzweideutig muss man auch betonen, dass die Empörung über die Verletzung dieses Respekts niemals zu einem Aufruf zur Gewalt missbraucht werden darf. Insofern musste im Karikaturenstreit in beide Richtungen mäßigend eingegriffen werden. Weil wir wissen, dass die persönliche Freiheit auch die Meinungsfreiheit einschließt, haben wir als christliche Kirchen schmerzlich lernen müssen, dass auch christliche Symbole, christliche Werte und christliche Überlieferungen bisweilen in Kunst und Literatur verächtlich gemacht werden. Das sorgt zwar für innere Empörung bei uns, aber wir würden nur in ganz wenigen Fällen ein staatliches Verbot fordern, weil es unserer Überzeugung entspricht, derartiger Herabsetzung allein mit der Kraft des Wortes zu begegnen. Deshalb mussten wir auch allen Ansätzen dazu entgegentreten, aus der Empörung über die Mohammed-Karikaturen Gewalttaten zu rechtfertigen.
Während Sie von der "katholischen Schwesterkirche" sprechen, redet der Papst von der "anderen christlichen Tradition". Leidet die Ökumene ausgerechnet unter einem deutschen Papst?
Bischof Huber: Ich habe diese Redeweise bedauert, aber das Selbstbewusstsein der evangelischen Kirchen ist nicht davon abhängig, ob der Papst von christlichen Traditionen oder christlichen Kirchen redet. Ökumenisch werden wir nur Fortschritte machen, wenn wir auf der einen Seite herausstellen, was uns verbindet und auf der anderen Seite respektvoll mit dem umgehen, was uns voneinander unterscheidet. Wir halten dabei den Respekt für das Kirche-Sein des ökumenischen Partners für unerlässlich. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass wir seit dem Jahr 2000, in dem die Erklärung "Dominus Iesus" veröffentlicht wurde (die als Geringschätzung anderer Kirchen interpretiert wurde, d. Redaktion), kaum ökumenische Fortschritte zwischen Protestanten und Katholiken zu verzeichnen haben. Die Schritte, die der Papst in den vergangenen Jahren unternommen hat, verstärken diesen Trend. Andererseits kennt der Papst die Kirchen der Reformation besser als viele Päpste vor ihm; er hat auch mir selbst gegenüber sein Interesse an guten ökumenischen Beziehungen unterstrichen. Ich resigniere also nicht, zumal es zum Bemühen um gute ökumenische Zusammenarbeit keine Alternative gibt. Ich betone allerdings, dass die Bedingungen für ein gedeihliches Miteinander nicht nur von einer Seite bestimmt werden können, sondern dass sie gemeinsam bei gegenseitigem Respekt gefunden werden müssen.
An Respekt fehlte es auch in der aktuellen Debatte: Kritik aus Deutschland an der Rehabilitierung eines Holocaust-Leugners als Bischof wertet der Vatikan als "antikatholische Tendenzen". Sind alle Kritiker wieder Ketzer?
Bischof Huber: Ich hüte mich vor einer Bewertung dieser Reaktion, aber es gibt ohne Zweifel gute Gründe dafür, dass diese Diskussion gerade in Deutschland so intensiv geführt wurde. Wir bilden in Deutschland eine Verantwortungsgemeinschaft für die Folgen der Shoah. Wir reden zwar nicht von einer Kollektivschuld, aber wir wissen, dass wir einstehen müssen für die Folgen geschichtlicher Schuld. Für die Kirchen in Deutschland ist klar: Die Leugnung des Holocausts muss jederzeit entschieden zurückgewiesen werden. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, dass sich katholische Bischöfe in Deutschland so deutlich geäußert haben. Wir stehen einhellig dafür ein, dass Antisemitismus in den christlichen Kirchen keinen Ort haben kann. Und noch aus einem zweiten Grund dürfen wir nicht schweigen: Deutschland, das Land der Reformation, hat aufgrund des ausgewogenen Zahlenverhältnisses von evangelischen und katholischen Christen eine besondere Verantwortung für die Ökumene. Der Vatikan wollte Frieden schließen mit einer Bewegung, die dezidiert antiökumenisch ist und die hinter das Zweite Vatikanische Konzil wieder zurück will. Unsere Kritik daran gründet nicht auf antikatholischen Ressentiments, sondern auf der Sorge um die Ökumene.
Mit der Regensburger Rede wertete der Papst Mohammed ab, mit der Karfreitagsfürbitte lässt er zur Missionierung der Juden aufrufen, er holt Traditionalisten zurück, ohne dass die vorher abschwören mussten. Will Benedikt XVI. hinter das Zweite Vatikanische Konzil zurück?
Bischof Huber: Nein. Jemand, der selbst an bedeutender Stelle am Zweiten Vatikanischen Konzil mitgewirkt hat, will bestimmt nicht dahinter zurück. Aber die Zielsetzung des Papstes, die Einheit der römisch-katholischen Kirche zu stärken, hat zur Folge, dass die Differenz zwischen der vorkonziliaren Entwicklung und dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeebnet wird. Die Auswirkungen auf die Ökumene wie auf das Gespräch zwischen den Religionen sind immer wieder besorgniserregend.
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