Landeszeitung Lüneburg: Prof. Günther Maihold im Interview: Militär kann Piratenplage nicht auf Dauer beenden
Lüneburg (ots)
Somalische Piraten haben derzeit mindestens 18 Schiffe in ihrer Gewalt. Kaum ein Tag vergeht, ohne Attacke auf Frachter, Tanker oder Yachten. In den Händen der Freibeuter ist auch der deutsche Frachter "Hansa Stavanger" mit fünf deutschen und 19 weiteren Besatzungsmitgliedern. Welche Mittel hat die internationale Gemeinschaft gegen die gut organisierten Kriminellen, deren Anführer in Prachtvillen am Strand residieren? "Die Lösung liegt nicht auf See, sondern an Land", sagt Experte Prof. Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Die USA feiern das geglückte Kommandounternehmen zur Befreiung von Kapitän Phillips. Ist Militär das geeignete Mittel gegen Piraten?
Prof. Dr. Günther Maihold: Im ersten Eindruck scheint es so zu sein. Allerdings wird sehr schnell deutlich, dass wie bei vielen anderen gewalttätigen Konflikten die militärische Option keine dauerhafte Lösung sein kann. Dafür muss man sich mit den grundlegenden Problemen auseinandersetzen. Insofern ist Militär ein Mittel zur Eindämmung, aber nicht zur Lösung.
Die Piraterie ist eine Wachstumsbranche, am Horn von Afrika wie in der Straße von Malakka. Unterschätzt die Weltgemeinschaft das Problem?
Prof. Maihold: Man hat es vor allem in der Breite unterschätzt, in der es derzeit am Horn von Afrika auftritt. Hier können die positiven Erfahrungen ursächlich sein, die in den vergangenen Jahren bei der Eindämmung der Piraterie etwa in der Straße von Malakka gemacht worden sind. Die Hoffnung, Ähnliches am Horn von Afrika bewirken zu können, zerschlug sich allerdings, weil wir es in dieser Region mit zerfallenden staatlichen Strukturen zu tun haben.
Man braucht an Land einen Staat, der das Gewaltmonopol ausübt, um Piraterie auf hoher See eindämmen zu können?
Prof. Maihold: Genau.
Auch deutsche Seeleute sind in der Hand von Freibeutern. Derweil streitet Berlin, ob Bundesmarine oder Bundespolizei gegen die Piraten vorgehen darf. Wer ist zuständig?
Prof. Maihold: Die Aufgabe liegt eigentlich ganz eindeutig im Bereich des Küstenschutzes. Das heißt, es wäre eigentlich die Bundespolizei zuständig. Aufgrund der Distanz zu den Grenzen Deutschlands besteht natürlich keine Chance für einen Einsatz des Bundesgrenzschutzes bzw. der Küstenwache. Zwischen den Einsatzmöglichkeiten der Küstenwache und der Bundesmarine besteht ein Regelungsloch. Und genau in dieser Zone bewegt sich die Debatte über eventuelle Einsätze etwa von Spezialeinheiten wie der KSK (Kommando Einsatzkräfte) gegen Piraten.
Spricht die starke Bewaffnung der Piraten nicht ohnehin eher dafür, Militär zu schicken statt Küstenwache?
Prof. Maihold: Die bisher festgesetzten Piraten waren eher mit leichten als mit schweren Waffen ausgerüstet. Aber die Frage der Einsatzart kann nicht nur vom Bewaffnungsgrad der Piraten beantwortet werden. Das Entscheidende ist eher, dass wir es mit einem riesigen Seegebiet zu tun haben -- allein die Küstenlinie von Somalia ist mehr als 3000 Kilometer lang --, das von den zur Verfügung stehenden Schiffen gar nicht effektiv überwacht werden kann.
Ähnliche rechtliche Probleme bei der Abgrenzung zwischen Coast Guard und Marine hatten auch die USA. Wie löste Washington diese?
Prof. Maihold: Man hat sie gelöst, indem Küstenwachen-Personal an Bord der Kriegsschiffe mit dabei ist. Durch Umflaggen der Schiffe können diese ihre jeweils spezifischen Aufgaben wahrnehmen. Etwas Vergleichbares macht die Bundesmarine, indem sie Schiffe, die eigentlich im Anti-Terror-Einsatz unterwegs sind, kurzfristig unter die ,,Atalanta"-Mission der EU zur Piratenbekämpfung umflaggt. Solche Hilfskonstruktionen haben aber eher nur einen legitimatorischen Effekt.
Das heißt, hier harrt ein Problem der grundsätzlichen Lösung, das noch durch die Beschränkung des Marineeinsatzes durch das Grundgesetz verschärft wird?
Prof. Maihold: Ganz klar, hier setzt das Grundgesetz Grenzen. Im Bundestag besteht eine breite Mehrheit gegen eine Änderung des Grundgesetzes für die "Atalanta"-Mission.
Ist das Mandat der Marine robust genug für ein Land, das als Exportweltmeister ein legitimes Interesse an sicheren Handelswegen hat?
Prof. Maihold: Es ist robust genug in der Hinsicht, dass es alle notwendigen Einsatzmöglichkeiten einräumt. Das entscheidende Manko dürfte aber die fehlende Verfügbarkeit einer hinreichenden Zahl von Schiffen sein. Hochgerechnet müsste die internationale Gemeinschaft rund 200 Schiffe in das Seegebiet senden. Das ist von den Kosten her nicht zu realisieren. So bleibt eine effektive Überwachung ein unerreichbares Ziel.
Bringt die Marine aber dennoch ein Piratenschiff auf, hat sie ein Problem mit den Gefangenen. Die Deutschen übergaben diese an Kenia, obwohl die EU die Menschenrechtslage in dem Land rügt. Wäre ein internationales Gericht für Piraten sinnvoll?
Prof. Maihold: Es hat bereits einen Vorschlag gegeben, einen Piratengerichtshof zu gründen. Natürlich könnte man sich auch vorstellen, dass dies beim Internationalen Strafgerichtshof angesiedelt wird. Aber hier fehlt es noch an den Grundlagen, so dass jedes Land, das Piraten gefangensetzt, selbst entscheiden muss, nach welchen gesetzlichen Grundlagen es verfährt.
Ist es legitim, dass die Bundesregierung die Gefangenen an Kenia übergibt?
Prof. Maihold: Die Frage, die vorab beantwortet werden muss, ist, ob ein deutsches Schiff attackiert worden ist. Die Antwort fällt nicht leicht. Ist es ein deutsches Schiff, weil es einen deutschen Eigentümer hat, unter deutscher Flagge fährt oder weil deutsche Besatzungsmitglieder an Bord sind? Angesichts dieser verzwickten juristischen Lage ist die Lösung, die man mit Kenia als einem "sicheren Drittland" gefunden hat, eine salomonische.
Hat der Ruf deutscher Reeder nach militärischem Beistand ein Geschmäckle angesichts ihrer Politik der Ausflaggung?
Prof. Maihold: Mir erscheint es durchaus fragwürdig, dass deutsche Reeder ihre Schiffe ausflaggen, dadurch dem deutschen Staat Steuergelder entziehen, aber gleichzeitig eine Schutzfunktion eben dieses Staates einklagen. Hier befinden sie sich in einem Rechtfertigungsdilemma.
Nach ihrer Machtübernahme 2006 drängten die Islamis"ten die Piraten in Somalia zurück. Jetzt feierten sie jüngst die Piratenüberfälle als Schlag gegen den Westen. Droht eine unheilige Verbrüderung?
Prof. Maihold: Diese Tendenz wurde besonders verstärkt durch die erhöhte Präsenz US-amerikanischer Streitkräfte in der Region. Man sieht eine neue Front, an der man den Kampf des Islamismus gegen die westliche Vormacht aufziehen kann. Ich glaube, Washington ist gut beraten, sein militärisches Engagement nicht auszuweiten. Dann würde das ideologische Argument entkräftet. Letztlich ist die Kontrollmacht der Islamischen Gerichtshöfe doch sehr beschränkt, so dass sie keine umfassende Allianzbildung mit den Piraten durchsetzen können.
Ein US-amerikanischer Militäreinsatz zu Lande wäre demnach ein sinnloses Abenteuer?
Prof. Maihold: Eine entsprechende Erfahrung mussten die Amerikaner bereits machen. Derzeit ist nicht erkennbar, wer jenseits der Afrikanischen Union den Willen und zudem die Ressourcen haben könnte, dort eine Rolle als Ordnungsmacht zu übernehmen.
Wo Staaten taumeln, blüht Kriminalität auf. Muss Entwicklungspolitik neu konzipiert werden: als präventive Sicherheitspolitik?
Prof. Maihold: Sicher ist die Aufgabe des state building eine, die für die Entwicklungspolitik künftig zentral sein wird. Das gilt nicht nur bezogen auf Piraterie, das gilt für alle Formen organisierter Kriminalität. Das bedeutet aber auch eine nachhaltige Bindung solcher Mittel, da solche Maßnahmen mittelfristiger Natur sind. Tragfähige Institutionen entstehen nicht schnell, können indes aber -- wie wir in vielen Ländern gesehen haben -- auch wieder schnell zusammenbrechen. Kurzfristige Erfolge sind da nicht zu erwarten.
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