Landeszeitung Lüneburg: ,,Union schielt nach linkem Zeitgeist" -- Interview mit Oswald Metzger
Lüneburg (ots)
Die Wirtschaftskrise verschob das politische Koordinatensystem in der Bundesrepublik nach links. Selbst eine Kanzlerin kann jetzt die Verstaatlichung von Banken planen. Während in Berlin früher lediglich um Millionen gerungen wurde, pumpt die Regierung jetzt Milliarden in die maroden Finanzmärkte. "Damit werden die Grundsätze einer nachhaltigen Finanzpolitik mit Füßen getreten", kritisiert Oswald Metzger den Kurs der CDU -- seiner neuen politischen Heimat. Schuld am prinzipienlosen Opportunismus der Politiker seien allerdings auch die Wähler, meint Metzger: "Sie wollen betrogen werden."
Seit Jahren predigen Sie den sparsamen Staat. Entsetzen Sie die Bankenrettungsschirme auf Pump? Oswald Metzger: Das kann man wohl sagen. Ich könnte derzeit ständig aus der Haut fahren. Es hat Jahre gebraucht, um Staatsverschuldung quer durch alle Parteien zu ächten. Ich wundere mich, wie schnell die Dämme jetzt brechen, sobald eine Bank als "systemrelevant" geadelt wird. Das ist leider keine deutsche Untugend. Weltweit regiert die Unvernunft, und das bringt zusätzliche Dramatik, denn unsere Exportwirtschaft lebt davon, dass es auch zukünftig noch kaufkräftige Kundschaft rund um den Globus gibt. Ein Großteil des künftigen Wachstums wird verbraucht werden, um den Zinseszins der heutigen Schuldenorgie zu tragen. Das wird die Steuer- und Beitragszahler mit höheren Steuern und Abgaben und die Konsumenten über die Inflationierung der Preise belasten.
Eine Grundursache der Krise verorten Sie in Ihrem jüngsten Buch auch in der Politikerkaste. Sind Sie auch ein Opportunist, der nichteinlösbare Versprechungen macht? Oswald Metzger: Nein - und das, obwohl ich in den vergangenen 36 Jahren Mitglied von drei Parteien gewesen bin. Dies brachte mir aber die Erkenntnis ein, wie sehr das politische Geschäft vom Zeitgeist, von politischen Modeströmungen geprägt ist, wie wenig Substanz zählt und wie stark der Hang zum Opportunismus, zur Beliebigkeit dominiert. Auch die Union orientiert sich derzeit viel stärker am linken Zeitgeist als an inhaltlichen Grundüberzeugungen. Bei der letzten Bundestagswahl hatte die Union ehrlicherweise angekündigt -- und dafür habe ich sie damals als Grüner gelobt --, dass ein Reformpaket notwendig ist, das auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer beinhaltet. Die Umfragewerte stürzten ab, um ein Haar hätte Schröder die Union noch abgefangen. Die CDU zog daraus die Lehre: So viel Ehrlichkeit vertragen die Wähler nicht. Und in der Tat will die Bevölkerung offenkundig belogen werden, weil sie lieber an unhaltbare Versprechungen glaubt als an harte Fakten. Leider ist Ludwig Erhards Einschätzung in Vergessenheit geraten: Alle Wohltaten, die Politiker den Bürgern versprechen, müssen diese vorher erst einmal selbst erarbeiten. Dem Bürger muss klar werden, dass er Kunde des Staates ist. Für das, was er verlangt, muss er die Rechnung bezahlen.
Wenn die Bürger angelogen werden wollen, wird dann im September die Partei der besten Gaukler triumphieren? Metzger: Die Wahrscheinlichkeit ist so gering nicht. Erreichen können nur glaubwürdige Politiker die Wähler. Dazu müssten sie vorleben, was sie fordern. Ein Beispiel: Meine Glaubwürdigkeit wäre dahin, wenn ich mein Mandat von den Grünen beim Parteiwechsel mitgenommen hätte zur CDU, was dieser im Stuttgarter Landtag die absolute Mehrheit eingebracht hätte. Im Gegenzug hätte ich einen sicheren Wahlkreis für die Bundestagswahl einfordern können. Ich habe den ehrlichen Weg gewählt, mich in zwei Wahlkreisen der CDU-Mitgliederbasis als Bewerber gestellt und zweimal mit Anstand verloren. Anderes Beispiel: Nur wenn ich die allzu üppige Altersversorgung ändere, die sich Politiker gönnen, kann ich auch darangehen, die Kaste der Berufsbeamten auszudünnen.
Fällt Ihr Plädoyer für mehr Ehrlichkeit in die richtige Zeit -- jetzt, da die verlogenen Versprechungen der Finanzwirtschaft aufgeflogen sind? Metzger: Objektiv wäre die Zeit günstig, doch subjektiv wirkt es eher so, dass die Robin Hoods unterwegs sind. Man will lieber den Reichen nehmen, und den Armen geben, damit man bei der breiten Masse der Bevölkerung nichts ändern muss. So umgeht man dringend nötige Strukturreformen. Die öffentliche Diskussion hat sich komplett gedreht. Wer vor fünf Jahren dafür plädiert hätte, die Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger massiv heraufzusetzen, wäre an den Medien-Pranger gestellt worden. Heute blüht das demjenigen, der darauf hinweist, dass wir uns diese Transferleistungen nicht uneingeschränkt leisten können und der fordert, dass derjenige, der als Geringqualifizierter arbeitet, mehr Geld verdienen soll als der Hartz-IV-Empfänger vom Staat erhält -- inklusive Warmmiete und kostenfreier Krankenversicherung. Es ist fatal, wenn sich eine wachsende Minderheit einrichtet in Transferleistungen, ohne dass der Staat diesen Menschen zugleich etwas abverlangt. Diese "Stilllegungsprämien für erwachsene Bürger" sind nicht unbegrenzt finanzierbar und haben in meinen Augen zudem etwas Entwürdigendes.
Was sagt der Marktliberale Metzger zu seiner neuen Parteifreundin, Kanzlerin Merkel, die Banken verstaatlicht, was vor fünf Jahren auch ein Tabu war? Metzger: Wären die Bürgschaften von über 100 Milliarden Euro an die Hypo Real Estate nicht vergeben worden, hätte ich die HRE über den Jordan gehen lassen. Systemrelevant wurde diese Bank erst durch die Riesenbürgschaften des Staates. Aber Berlin war in Zugzwang, nachdem die Amerikaner Angst vor der eigenen Courage bekommen hatten. Erst hatte Washington die Lehman Brothers pleite gehen lassen, dann pumpte es Milliarden in den Markt. Nach diesem Muster verliefen bisher alle Krisen: Letztlich sprang immer der Staat ein. Das ist aber das falsche Signal. Wir setzen zurzeit die Risikoprämie für künftiges hochspekulatives Handeln herunter. Es kommen zu viele Marktteilnehmer ungeschoren davon, weil der Steuerzahler den Ausputzer gibt. Zocker ziehen daraus die Lehre, dass in der Krise Verluste sozialisiert werden. Eine solche Vollkaskomentalität dürfen wir nicht züchten, sonst verschütten wir ein Grundprinzip der Marktwirtschaft: Wer die Risiken überzieht, zahlt die Zeche.
Marktliberale Stimmen werden derzeit auch in der Union leiser. Hat der Casino-Kapitalismus die Marktwirtschaft als Ganze diskreditiert? Metzger: Da bin ich absolut sicher. Denken Sie an die Reaktion auf das Buch von Friedrich Merz, das im letzten Herbst herauskam. Er hat mit seinen Thesen völlig recht, aber bei dem Titel "Mehr Kapitalismus wagen" hatte er in der damaligen Stimmung keine Chance. Der Missbrauch der Marktwirtschaft durch Teile der Wirtschaftseliten hat ein System diskreditiert, das weltweit relativ viel Wohlstand beschert hat. Der Kritik seiner Gegner zum Trotz hat die Globalisierung den Wohlstand der Menschheit erheblich gemehrt, Massen aus der Armut befreit -- allein in China bis zu 400 Millionen Menschen. Verelendung auf breiter Front infolge der Krise ist mir in Deutschland nicht bekannt. Wir klagen hier auf einem extrem hohen Niveau. Unsere Sozialsysteme stabilisieren die Nachfrage derart effektiv, dass sie von ausländischen Ökonomen als eine Art drittes Konjunkturpaket angesehen werden. Dank der Sozialsys"teme merken die Bürger noch gar nicht, welch schwere Stre"cke wir vor uns haben. Erst nach der Wahl -- im Herbst und Winter -- werden die Folgen der Krise auf dem Arbeitsmarkt voll durchschlagen. Dann wird sichtbar, wie sehr auch die Realwirtschaft leidet.
Sie nehmen für sich in Anspruch, die Parteien gewechselt zu haben, nicht aber die Ansichten. Die CDU-Basis hat das aber nicht honoriert. Ist Biegsamkeit eine Grundvoraussetzung für Politiker? Metzger: Wenn man analysiert, wie Politiker heute meist in die Politik kommen, beantwortet sich die Frage. In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik hatten viele Parlamentarier noch ein Berufsleben vor der politischen Karriere vorzuweisen. Heute sind Abgeordnete zwar hochqualifiziert - 80 Prozent verfügen über einen akademischen Abschluss --, aber vielen fehlt Berufs- und Lebenserfahrung. Sie haben nicht in ihrem akademischen Beruf gearbeitet, sondern den direkten Weg in die Politik gesucht. In der Folge kennen sie zwar ihre Partei gut, nicht aber die gesellschaftliche Realität. Auch unser Wahlrecht belohnt mit den Wahlen über Listenplätze den reinen Tunnelblick auf die Partei. Würde man aber die Zweitstimme vom Personalvorschlag der Parteien entkoppeln, wie etwa bei den Landtagswahlen in Bayern, könnten die Bürger Kandidaten in die Parlamente wählen, denen sie aufgrund ihrer Lebensleistung vertrauen, die aber auf hinteren Listenplätzen platziert wurden.
Jahrelang warben Sie für eine Öffnung der Grünen zur Union. Nun regiert Schwarz-Grün in Hamburg. Haben Sie zum falschen Zeitpunkt die Grünen verlassen? Metzger: Nein. Denn die Politik der Grünen korrespondiert derzeit nicht mehr mit ihrer Metabotschaft der Nachhaltigkeit. Wie in der gesamten Gesellschaft schlug auch bei den Grünen das Pendel nach links, wird ein Füllhorn neuer staatlicher Leistungen, auf Pump finanziert, versprochen. Auch die Union rückte übrigens nach links. Vor acht oder neun Jahren wäre ich als Ordoliberaler in der CDU fehl am Platze gewesen, weil viele so dachten wie ich. Heute muss man selbst in der Union den marktwirtschaftlichen Flügel stärken, der mit Friedrich Merz seine Gallionsfigur verloren hat. Auch als CDU-Mitglied plädiere ich weiter für schwarz-grüne Koalitionen oder für ein Jamaika-Bündnis, obwohl solche Konstellationen derzeit höchst unwahrscheinlich sind. Von ihren Wählerschichten her würden die Grünen besser ins bürgerliche Lager passen als es die tendenziell linke Funktionärsmehrheit auf Parteitagen glauben machen will. Deshalb ist es gut, dass in Hamburg das Experiment gewagt wurde. Bisher scheint das Ergebnis ermutigend. Die Koalition arbeitet geräuschlos und vertrauensbildend.
Das Interview führte Joachim Zießler
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