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Landeszeitung Lüneburg: "Man braucht keinen Privatdetektiv" - Datenschützer Schaar über Körperscanner, Vorratsdaten und elektronischen Einkommensnachweis ELENA

Lüneburg (ots)

Das Jahr 2009 war auch ein Jahr der Datenpannen.
Und das neue Jahr beginnt mit einer Debatte darüber, wie viele 
Informationen der Staat und Unternehmen zu welchem Zweck erheben und 
sammeln dürfen. Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz,
über die Vorratsdatenspeicherung, den Einsatz von Körperscannern an 
Flughäfen und den neuen elektronischen Einkommensnachweis ELENA.
Es scheint, als gäbe es immer mehr Datenpannen, zuletzt bei 
SchülerVZ und Libri. Ist ihre Arbeit schwieriger geworden?
Peter Schaar: Sie ist deshalb schwieriger geworden, weil immer 
mehr Daten verarbeitet werden und weil diese Daten nicht nur in den 
klassischen Modellen von Datenverarbeitung -- im Sinne einer 
gezielten Verwendung für bestimmte Zwecke -- anfallen, sondern immer 
mehr Daten zusammengeführt werden oder beiläufig entstehen. Beispiel:
Mit meinem Smartphone bin ich einerseits stets erreichbar, aber auch 
--- anders als beim Handy -- -permanent online, also mit dem Internet
verbunden. Dabei fließen dauernd Daten, unter anderem über meinen 
Standort. Diese Informationen werden auch gesammelt. Je mehr Daten 
vorhanden sind, desto größer ist natürlich auch das Risiko, dass sie 
in die falschen Hände gelangen. Der Aufwand, der heute getrieben 
werden muss, um diese Daten zu schützen, ist viel größer, als vor 
zwanzig Jahren bei einem Rechenzentrum, wo man nur darauf achten 
musste, dass die Mauern hoch genug sind und Bewegungsmelder und 
Zugriffskontrollsysteme signalisieren, dass jemand unrechtmäßig 
einzudringen versucht.
Ist das Ausmaß der Überwachung im öffentlichen und privaten 
Bereich gewachsen?
Schaar: Die Überwachung hat zweifelsohne zugenommen, auch wegen 
der technologischen Entwicklung. Ich glaube zwar nicht, dass es hier 
in den vergangenen Jahren einen generellen Mentalitätswechsel gegeben
hat. Aber es ist einfacher geworden, zu überwachen. So ist es für den
Arbeitgeber heute leichter zu kontrollieren, was ein Arbeitnehmer im 
Internet macht und welche E-Mails er verschickt, als dauernd zu 
prüfen, ob er nicht vielleicht am Arbeitsplatz Zeitung liest. Und ein
eifersüchtiger Ehepartner muss keinen Privatdetektiv mehr 
beauftragen, um festzustellen, wo sich der Partner aufhält, sondern 
kann leicht verfügbare Dienste wie die Handy-Ortung nutzen. Unsere 
dauernde digitale Aktivität macht uns stärker überwachbar.
Ist die Zahl der Datenschützer mitgewachsen?
Schaar: Es gab in der Tat in einigen Bundesländern Verbesserungen.
Beim Bund ist dies angekündigt. Ich gehe davon aus, dass auch meine 
Dienststelle gestärkt wird. Aber unabhängig von der notwendigen 
Verstärkung kann es natürlich nicht darum gehen, hinter jeden 
Datenverarbeiter einen Datenschützer zu stellen. Man muss auch andere
Mechanismen finden, um den Datenschutz zu gewährleisten.
Bekommt der Datenschutz durch die Regierungsbeteiligung der 
"Bürgerrechtspartei" FDP größeres Gewicht?
Schaar: Wenn man den Ankündigungen glaubt, kann man sich 
berechtigte Hoffnungen machen. Jetzt kommt es darauf an, die 
Versprechen im Koalitionsvertrag auch umzusetzen. Ich habe schon den 
Eindruck, dass wir da Rückenwind bekommen haben.
Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag ist die Gründung einer 
"Stiftung Datenschutz" vereinbart. Wie muss man sich solch ein 
Gremium vorstellen?
Schaar: Das ist noch weitgehend offen. Ich halte die Idee für gut,
dass es außerhalb der Verwaltung eine Einrichtung geben soll, die 
sich darauf konzentriert, für den Einzelnen den Datenschutz von 
bestimmten Produkten oder Dienstleistungen bewertbar zu machen. So, 
wie das die Stiftung Warentest tut, allerdings mit anderen Kriterien.
Ich kann mir vorstellen, dass sich eine solche Stiftung etwa soziale 
Netzwerke anschaut und dann deren Datenschutzqualität benotet. Diese 
Stiftung könnte das viel unkomplizierter machen als eine 
Aufsichtsbehörde, weil die Behörde ja peinlich genau darauf achten 
muss, dass ein Werturteil nicht zu einer Geschäftsschädigung führt 
Eine Behörde hat also Schwierigkeiten, etwa eine 
"Datenschutzfreundlichkeit" zu bewerten, die das Gesetz so ja nicht 
kennt. Es geht auch hier nicht um mehr Bürokratie, sondern um mehr 
Transparenz für den Verbraucher.
Mehr Transparenz fordert auch der Chaos Computer Club. Und zwar in
der Form, dass die Datensammler regelmäßig die Bürger darüber 
informieren sollen, welche Informationen jeweils erfasst sind und was
damit geschieht. Ist das ein richtiger Weg?
Schaar: Auf jeden Fall. Das schreibt auch das 
Bundesdatenschutzgesetz schon jetzt vor: Im Prinzip ist man zu 
benachrichtigen, wenn Daten erhoben oder gesammelt werden. Nur in der
Praxis geschieht das häufig nicht. Da muss man fragen, ob die 
Mechanismen, die im Gesetz stehen, ausreichen. Ein Datenauszug wäre 
sinnvoll, aber ich würde sogar noch weiter gehen: Warum gestattet man
nicht jedem Bürger einen Online-Zugriff auf die zu seiner Person 
gespeicherten Daten? Manche Unternehmen machen das ja schon auf 
freiwilliger Basis.
Das Bundesverfassungsgericht befasst sich derzeit mit der 
Vorratsdatenspeicherung. Wie muss vor dem Hintergrund der zugrunde 
liegenden EU-Richtlinie eine vertretbare Regelung konkret aussehen?
Schaar: Zunächst stellt sich die Frage nach dem Maßstab, an dem 
die Vorratsdatenspeicherung zu messen ist. Gemessen am Grundgesetz 
und der Grundrechte-Charta des Lissabon-Vertrages wäre eine solche 
Vorratsdatenspeicherung von sensiblen Daten für sehr weitgehende 
Zwecke höchst zweifelhaft. Zieht man aber die EU-Richtlinie heran, 
welche die Vorratsspeicherung vorschreibt, würde sich Karlsruhe 
darauf beschränken müssen, dafür zu sorgen, dass das deutsche Gesetz 
bei den Mindestspeicherpflichten und den Nutzungsbegrenzungen 
keineswegs weiter geht, als durch die EU vorgegeben ist. Aber das 
wäre aus meiner Sicht nur die zweitbeste Lösung.
Mit zwei einstweiligen Anordnungen hat Karlsruhe den Zugriff auf 
Verbindungsdaten bereits beschränkt. BKA und Bundesanwaltschaft sind 
damit enge Grenzen gesetzt. Wie halten es denn die Länder damit? 
Woher kommen denn etwa die Daten, mit denen gegen Raubkopierer 
vorgegangen wird?
Schaar: Der Spruch des Bundesverfassungsgerichts gilt auch für die
Länder. Es gibt derzeit keinen Zugriff auf den Pool der gespeicherten
Vorratsdaten zum Zwecke der Verfolgung von Urheberrechtsverstößen. 
Die Musikindustrie und die Filmwirtschaft können sich nur auf Daten 
berufen, die von den Providern ohnehin gespeichert werden, nämlich zu
Abrechnungszwecken.
Aber es sind dieselben Datenu Schaar: Richtig, aber diese Daten 
müssen so früh wie möglich gelöscht werden, wenn sie der Anbieter für
Abrechnungszwecke nicht mehr benötigt, während die Vorratsdaten sechs
Monate gespeichert bleiben müssen. Und deshalb fordere ich auch, dass
hier eine ganz klare Trennung zwischen Abrechnungs- und Vorratsdaten 
erfolgen muss.
Der ehemalige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem sagt, der 
Staat könne sein Versprechen der Sicherheit immer schwerer erfüllen. 
Deshalb betreibe der Staat Symbolpolitik, die diejenigen, von denen 
wirklich Gefahr ausgeht, wenig beeindruckt. Gilt das auch für die 
Vorratsdatenspeicherung?
Schaar: Ich teile diese Einschätzung. Bei der 
Vorratsdatenspeicherung wie bei anderen Maßnahmen zur Überwachung der
elektronischen Kommunikation gibt es für Kriminelle zahlreiche 
Ausweichmöglichkeiten, und es werden immer mehr. So können 
Informationen nicht nur per Telefon oder E-Mail, sondern auch über 
soziale Netzwerke, Tauschbörsen und Internetspiele ausgetauscht 
werden. Deshalb stellt sich mir die Frage, ob man mit der 
Vorratsdatenspeicherung wirklich die großen Fische fangen kann und ob
damit nicht nur unser alltägliches Kommunikationsverhalten umfassend 
registriert wird. Darauf habe ich bisher noch keine befriedigende 
Antwort gehört.
Weitgehend geräuschlos wird ab 1. Januar eine andere Form der 
Vorratsdatenspeicherung angewandt: der elektronische 
Einkommensnachweis ELENA. Sträuben sich Ihnen nicht die Haare 
angesichts der Vielzahl von Daten, die Arbeitgeber an eine zentrale 
Speicherstelle übermitteln müssen?
Schaar: Jede Datensammlung, gerade wenn es sich um zusätzliche 
Daten handelt, ist gewiss kritisch zu bewerten. Aber ich würde ELENA 
nicht auf dieselbe Stufe wie die Vorratsdatenspeicherung in der 
Telekommunikation stellen. Bei ELENA werden Daten erhoben, die an 
anderer Stelle, etwa bei den Rentenversicherungsträgern, ohnehin 
vorhanden sind. Sie werden jetzt nur in einer Datei zusammengefasst. 
Aber die Frage, ob es wirklich verhältnismäßig ist, dass für eine 
relativ kleine Zahl von Gehaltsnachweisen eine solche Datensammlung 
stattfindet, ist aus meiner Sicht noch nicht befriedigend beantwortet
worden. Und das könnte Konsequenzen haben im Hinblick auf die 
verfassungsrechtliche Zulässigkeit.
Robert Kronthaler, Leiter des Bereiches ELENA bei der Deutschen 
Rentenversicherung Bund, hält einen Missbrauch der Daten von 40 
Millionen Arbeitnehmern für "ausgeschlossen"...
Schaar: Den Begriff "ausgeschlossen" benutze ich höchst 
vorsichtig. Auf mein Drängen hin sind in dieses Verfahren eine 
Vielzahl ausgefeilter Schutzmaßnahmen eingebaut worden, die einen 
Missbrauch sehr unwahrscheinlich machen. Andererseits hat ELENA auch 
einen gewissen datenschutzrechtlichen Mehrwert: Bisher musste man zu 
seinem Arbeitgeber gehen, wenn man etwa ergänzende Sozialhilfe oder 
Arbeitslosengeld II beantragt -- selbst, wenn ein Familienangehöriger
das tut. Künftig geht man direkt zum Sozialamt und der Arbeitgeber 
erfährt davon nichts mehr. ELENA ist ein ambivalentes Vorhaben und 
ich werde genau darauf achten, dass die gesetzlichen Vorgaben 
eingehalten werden und die Daten für keine anderen Zwe"cke verwendet 
werden. Im Übrigen sehe ich kein Motiv, warum Sicherheitsbehörden auf
diese Daten zugreifen sollten. Die Datenbank ist auch technisch für 
eine Rasterfahndung ungeeignet.
Stimmt es, dass auch Angaben über Krankheiten, Abmahnungen und 
Streiks übermittelt werden?
Schaar: Zu meinem Entsetzen war davon einiges vorgesehen. Ich habe
aber erreichen können, dass keine Streikdaten erfasst werden. Das 
ginge weit über das hinaus, was wir bisher in irgendeiner Datenbank 
haben und hätte größte Sprengkraft. Einige Punkte, insbesondere 
welche Daten bei einer Kündigung gespeichert werden, sind aber noch 
nicht endgültig geklärt.
Der Zukunftsforscher und Medienwissenschaftler Bernd Flessner hält
den Datenschutz im Internet-Zeitalter für antiquiert. Wir müssten 
lernen, mit der Überwachung zu leben?
Schaar: Ich halte den Datenschutz für wichtiger denn je. Aber es 
wird ein anderer Datenschutz sein als vor 20 Jahren. Wir können uns 
nicht darauf beschränken, Daten hinter Mauern einzuschließen, sondern
man muss intelligente Verfahren entwickeln. Es geht zum Beispiel 
darum, schon bei der Entwicklung von technischen Systemen den 
Datenschutz im Blick zu haben. Die Bürgerinnen und Bürger müssen 
wieder stärker selbst darüber bestimmen können, wer was über sie 
weiß. Wir haben schon über das Thema Transparenz gesprochen: Auch 
hier müssen dem Einzelnen die technischen Mittel zur Verfügung 
gestellt werden, dass Informationen über ihn erfasst werden und wer 
dafür verantwortlich ist.
Die Niederlande haben als erstes Land Europas die Nutzung von 
Körperscannern an Flughäfen angekündigt. Unter welchen Bedingungen 
halten Sie den flächendeckenden Einsatz solcher Geräte für 
verhältnismäßig?
Schaar: Mir sind derzeit keine Körperscanner bekannt, die keinen 
übermäßigen Eingriff in die Intimsphäre darstellen. Wichtiger finde 
ich auch die Frage, weshalb nicht darüber diskutiert wird, dass die 
präventiven Antiterrormaßnahmen versagt zu haben scheinen, sondern 
gleich wieder der Ruf nach immer neuen Überwachungsmaßnahmen 
erschallt. Sinnvoller wäre es doch, die bisherigen Möglichkeiten 
tatsächlich auszuschöpfen. Und wie soll ein solches System eigentlich
verhindern, dass eine Beinprothese mit einem an der Wade befestigten 
Plastiksprengstoff verwechselt wird?
Was wünschen Sie sich als Datenschützer für das neue Jahr?
Schaar: Ich wünsche mir, dass wir zu einem modernen 
Datenschutzverständnis in der Gesellschaft kommen. Das heißt erstens,
dass der Einzelne verstärkt darauf achtet, was mit seinen Daten 
geschieht, und zweitens mehr Respekt derjenigen, die mit diesen Daten
umgehen, seien es nun staatliche Stellen oder Unternehmen.
Das Gespräch führte Klaus Bohlmann

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