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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Korruption bis in höchste Ebenen - Pedro Matías Arrazola, Stipendiat der Stiftung fÏr politisch Verfolgte, über die Macht der Drogenbosse in Mexiko

Lüneburg (ots)

Mexiko gilt als eines der gefährlichsten Länder
der Welt für Journalisten. Seit 2000 wurden mehr als 40 Reporter 
getötet. Kritische Autoren werden unter Druck gesetzt, Sie selbst 
erlebten eine brutale Entführung. Bleibt die Entwicklung der 
Pressefreiheit in Mexiko ein Traum?
Pedro Matías Arrazola: Ja, Mexiko ist das zweit gefährlichste 
Land der Welt und das gefährlichste Lateinamerikas. Die Angaben über 
die Opferzahlen variieren, aber die Kommission für Menschenrechte in 
Mexiko hat dokumentiert, dass von 2000 bis 2009 genau 58 Journalisten
ermordet wurden; im Januar dieses Jahres gab es drei weitere Morde.
Das heißt, Pressefreiheit ist eher Traum als Realität?
Matías Arrazola: Es gibt natürlich Gesetze, die die 
Pressefreiheit garantieren. Und es gibt auch einige Medien, die 
Pressefreiheit praktizieren -- zum Beispiel Radiosender der indigenen
Bevölkerung, oder im Internet. Viele Medien arbeiten am Rande der 
Legalität, sie bemühen sich jedoch, um rechtliche Anerkennung. 
Insgesamt gesehen ist die Pressefreiheit tatsächlich sehr 
eingeschränkt.
Gibt es eine Zensur?
Matías Arrazola: Zensur und Auto-Zensur sind an der Tagesordnung. 
Aber es gibt einige Autoren, die sich dennoch trauen, die Wahrheit zu
sagen.
Zum Beispiel wie Sie und Ihre Kollegen von ,,Proceso", dem Pendant 
zum deutschen ,,Spiegel"?
Matías Arrazola: Ja, dieses Magazin ist finanziell unabhängig, 
weil die Anzeigen nicht -- wie sonst üblich in Mexiko -- vom Staat 
kommen. Das ist ein Vorteil. Doch bei kritischen Berichten werden 
diese Journalisten häufig unter Druck gesetzt. Eingangs nannte ich 
die Zahlen der Ermordeten, aber die Zahl derjenigen, die bedroht, 
entführt, vergewaltigt oder gekündigt werden, ist wesentlich höher. 
So arbeitet der Staat in Mexiko.
Viele Firmen sind Staatsunternehmen, wo kommen dann ,,reine" 
Anzeigen her?
Matías Arrazola: Zum Beispiel von Universitäten oder einigen 
privaten Firmen, sodass es für Proceso möglich ist, weiter zu 
existieren. Dennoch möchte die Regierung, dass die Zeitschrift 
verschwindet und übt Druck aus, auch auf diejenigen, die das Magazin 
kaufen.
Gibt es die Zeitschrift am Kiosk oder nur per Abo?
Matías Arrazola: Überall. Es gibt aber auch Aktionen, um den 
Verkauf zu behindern. Ich arbeite auch für eine Zeitung in der Region
von Oaxaca, sie heißt NOTICIAS (Nachrichten), und gilt als kritische 
Stimme in Oaxaca. Diese Zeitung wurde besetzt, 30 Mitarbeiter 
entführt und erst nach einem Monat wieder freigelassen. Das war 2005.
Da musste die interamerikanische Kommission für Menschenrechte 
intervenieren. Diese hatte dem Staat Mexiko auferlegt, allen 160 
Mitarbeitern Sicherheit zu gewährleisten. Das war die offizielle 
Version, sie wurde aber nie wirklich umgesetzt. Ein anderer Fall: Der
Eigentümer eines Radiosenders, für den ich ebenfalls arbeite, wurde 
ins Gefängnis gesteckt, um zu verhindern, dass er weiterhin 
,,schlechte" Nachrichten verbreitet. Oder ein Beispiel auf nationaler
Ebene: Die Journalistin Carmen Aristegui, eine renommierte 
Redakteurin, bekannt für kritische Fragen. Die Regierung hatte den 
TV-Sender, für den sie arbeitete, so sehr unter Druck gesetzt, dass 
ihr Vertrag nicht verlängert bzw. gekündigt wurde. Ein anderer 
Kollege, der der Opposition eine Stimme gegeben hat, musste erleben, 
dass seine Radiosendung eingestellt, sein TV-Auftritt gestrichen und 
seine Zeitung eingestellt wurde.
Was machen diese Leute jetzt?
Matías Arrazola: Sie haben sich einen neuen Job gesucht, Carmen 
zum Beispiel, arbeitet jetzt bei CNN Mexiko.
Präsident Calderón hat 45000 Soldaten ins Land geschickt, um 
Korruption und Gewalt einzudämmen, denn seinen eigenen Beamten kann 
er nicht mehr trauen. Hat sich die Lage dadurch verbessert?
Matías Arrazola: Nein, es ist sogar schlimmer geworden. Die 
Soldaten haben zum Beispiel Aufgaben der Polizei übernommen. 
Aufgaben, für die sie gar nicht ausgebildet sind. Seitdem ist die 
Zahl der Verstöße gegen die Menschenrechte stark gestiegen. In der 
Bevölkerung gibt es eine Polarisation: Die einen sind für die starke 
Präsenz der Soldaten, weil sie ihnen Sicherheit vermitteln. Die 
anderen aber möchten, dass die Armee abzieht, weil sie mehr schadet 
als nutzt.
Dass die Soldaten polizeiliche Aufgaben übernehmen, war doch 
Intention der Maßnahme, da die Polizei zu bestechlich war, oder?
Matías Arrazola: Ja, aber die Soldaten sind einfach nicht dafür 
ausgebildet, zivile Aufgaben zu übernehmen. Was stimmt, ist, dass die
Polizei korrupt war und ist. Und nicht nur die Polizei.
Wie weit reichen die Verflechtungen der organisierten 
Kriminalität?
Matías Arrazola: Korruptionen sind in allen Ebenen der Regierung 
zu finden. Das behaupte nicht nur ich, sondern auch Experten, die 
sich mit der Drogenproblematik befassen. Die haben herausgefunden, 
dass selbst Mitglieder der Calderón-Regierung die Drogenbarone 
unterstützen. Es gibt keinen Kampf gegen die Drogenkartelle, Kampf 
herrscht nur zwischen den Kartellen selbst. Von 2006 bis heute sind 
dadurch 16000 Menschen ums Leben gekommen.
Die Drogenwelt beherrscht die Politik.
Die USA unterstützen Mexiko bei der Verbesserung der öffentlichen 
Sicherheit. So fließen über das Merida-Abkommen 1,6 Milliarden 
US-Dollar ins Land. Eine lächerliche Summe angesichts der 
Milliardengewinne der Drogenbosse?
Matías Arrazola: Man kann es auf zwei Arten interpretieren: Einige
haben gesagt, dass der Drogenhandel eine Gefahr für die Sicherheit 
der Vereinigten Staaten von Amerika darstelle, und dass deswegen so 
viel Geld bereitgestellt worden ist. In Mexiko wird dadurch 
tatsächlich das Militär unterstützt, um gegen die Kartelle 
vorzugehen. Aber keine Summe kann groß genug sein, um dieses Problem 
aus der Welt zu schaffen. Denn 40 Millionen Menschen in Mexiko sind 
arm. Die internationale Wirtschaftskrise hat 3 Millionen Arbeitslose 
zusätzlich beschert. Zudem bleibt das Geld derjenigen Mexikaner aus, 
die in den USA ihren Job verloren haben. Auch der Tourismus, ein 
wichtiges Standbein der mexikanischen Wirtschaft, verzeichnet 
Einbußen, nicht zuletzt nach Ausbruch der Schweinegrippe. Mexikos 
Ertragslage ist derzeit die niedrigste in ganz Lateinamerika. All das
hat zur Folge, dass viele Menschen durch kriminelle Organisationen 
angezogen werden.
Einer UN-Erhebung zufolge haben viele Jugendliche auf die Frage 
nach ihrem Berufswunsch ,,Drogendealer" geantwortet -- wie kommt das?
Matías Arrazola: Der Rektor der unabhängigen Universität in Mexiko
hat gesagt, dass, wenn die Sozialpolitik sich nicht ändert, es 
soziale Unruhen geben könnte. Es gibt eine neue ,,Klasse, die 
sogenannten Ninis, die Weder-Nochs. Gemeint sind diejenigen, die 
weder studieren noch Arbeit haben. Sie lassen sich daher von den 
Drogendealern leicht ködern.
Was kann die Internationale Gemeinschaft tun, um die Gewaltspirale
in Mexiko zu stoppen?
Matías Arrazola: Das ist sehr schwierig. Mexiko hat sehr viele 
Gesichter und sehr viele Prob"leme. Dennoch glaube ich, dass es 
besser wird. Man muss die Regierung zwingen, die Gesetze, die sie 
haben, auch umzusetzen. Am besten durch Druck von außen. Damit es 
nicht mehr vorkommt, dass ein Indigener, der ein Tier tötet, um es zu
essen, zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wird. Aber ein 
Politiker, der sich selber bereichert und gestohlen hat, unbehelligt 
bleibt.
Es gibt Berichte über unglaubliche Gewalt, Köpfe von Leichen 
werden auf die Straße geworfen, Leichen in Säure aufgelöst. Es 
herrscht die Devise ,Plata o Plomo' (Geld oder Kugel)--- wie kann man
unter solchen Verhältnissen leben? Matías Arrazola: Die Mexikaner 
sind ein sehr würdevolles Volk, sie lieben ihr Land. Außerdem sind 
sie in vielerlei Hinsicht sehr großmütig, lassen sich viel gefallen, 
sei es, dass ihnen die Regierung etwas wegnimmt, sei es, dass sie 
,,getreten" werden.
Drogenkartelle agieren vor allem im Norden, dort ist das Leben 
besonders gefährlich. Warum ziehen die Bürger nicht in den Süden?
Matías Arrazola: Die Kartelle sind bereits im ganzen Land aktiv. 
Es gibt quasi zwei Mexikos: Das Mexiko vom Zentrum bis zum Norden und
das Mexiko des Südens. Im Norden gibt es Industrieansiedlungen und 
damit Arbeit, aber auch die Drogenwelt. Im Süden hingegen lebt die 
indigene Bevölkerung, es gibt keine großen Firmen -- außer dem 
VW-Werk in Puebla.
Im Juni gehen Sie zurück in Ihre Heimat. Welchen Einfluss wird Ihr
Aufenthalt hier auf Ihre Arbeit in Mexiko haben?
Matías Arrazola: Das kann man schlecht in Worte fassen. Ich habe 
hier eine Menge Kontakte geknüpft. Ich komme aus dem armen Süden. 
Dort, wo es eine andere Form von Gewalt gibt, eine politische Gewalt.
Da die Parteien schon 80 Jahre an der Regierung sind, geht es darum, 
in diesem Dickicht für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen und das will 
ich fortsetzen. Ich erinnere an den Volksaufstand von 2006, als sich 
die Bevölkerung erhoben hatte gegen die Unterdrückung durch die 
Regierung. Bei diesem Konflikt gab es 26 Tote. 500 Menschen wurden 
verhaftet, 380 gefoltert, 7 sind vermisst.
Was hat dieser Aufstand bewirkt?
Matías Arrazola: Wenig, denn der Gewinner war der Staat. Die 
Regierung sieht einfach nicht, was die Bevölkerung benötigt.
Sind diese Menschen jetzt frustriert und hören auf, zu kämpfen? 
Matías Arrazola: Nein, im Gegenteil, sie machen umso couragierter 
weiter. Sie haben gelernt, dass derjenige, der Gesicht zeigt, damit 
rechnen muss, einzustecken. Die nächsten Aktionen werden anders 
organisiert, um derartige Gewaltausbrüche zwischen Volk und Regierung
zu vermeiden.
Waren die Aufständischen überwiegend aus der Bildungsschicht?
Matías Arrazola: Nein, es stand quasi die gesamte Bevölkerung 
dahinter. Es hatten sich rund 1 Million Menschen der rund 3 Millionen
Einwohner dieser Region an den Protesten, die 6 Monate dauerten, 
beteiligt. Und rund 500000 wollen diese Auseinandersetzung 
fortführen. Auch die katholische Kirche hat die Aktionen unterstützt.
Der Oberste Gerichtshof hat nach den Unruhen zwar festgestellt, dass 
der Gouverneur von Oaxaca Rechte verletzt hat, aber trotzdem ist 
nichts passiert. Er ist nach wie vor Mitglied der Regierung, wird 
nicht ins Gefängnis kommen und macht sich sogar lustig darüber.
Welche Zukunft sehen Sie für Mexiko?
Matías Arrazola: Ich bin stolz auf mein Land, ich liebe es, und 
ich hoffe auf eine gute Zukunft und darauf, dass die Regierung 
sensibler reagiert und die Gewalt weniger wird. Andernfalls wird die 
Gewalt eskalieren. Was wiederum zu mehr Rückständigkeit und mehr 
Menschenrechtsverletzungen führen würde. Diejenigen, die schon jetzt 
leiden, denen wird es dann noch schlechter gehen.
Ist die Lage vergleichbar mit Kolumbien?
Matías Arrazola: Viele sagen, dass wir Kolumbien schon ,,überholt"
haben. Auf jeden Fall ähneln sich die Verhältnisse sehr. Die 
Bevölkerung dort ist quasi umzingelt von den Kartellen, der Gewalt 
der Regierung, des Militärs und der Polizei. Ganz so schlimm ist es 
in Mexiko noch nicht.
Interview: Dietlinde Terjung Übersetzung: Pablo Descalzo
Mit freundlichen Grüßen
Dietlinde Terjung
Nachrichtenredaktion/Politik
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Werner Kolbe
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