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Landeszeitung Lüneburg: ,,Brandmauer um Griechenland verhindert Domino-Effekt" -- Interview mit dem Wirtschafts- und Finanzexperten der FDP im Europäischen Parlament, Dr. Jorgo Chatzimarkakis.

Lüneburg (ots)

Die Hellas-Krise hält Europa in Atem. Das deutsche Zögern bei der Bewilligung der Nothilfe erzürnt manche Nachbarstaaten. Immer mehr Politiker kritisieren die Rolle der Ratingagenturen, deren Urteile über die Kreditwürdigkeit von Staaten ganze Volkswirtschaften ins Desaster stürzen können. Dr. Jorgo Chatzimarkakis betont im Interview mit unserer Zeitung, dass das Hilfspaket eine einmalige Sache für Europa bleiben muss. Aber: Werde die europäische Wirtschaftspolitik künftig besser koordiniert, könne Europa gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Beendet die Pleite Griechenlands die Erfolgsgeschichte des Euro?

Dr. Jorgo Chatzimarkakis: Griechenland ist noch nicht pleite. Wir versuchen derzeit, die Zahlungsfähigkeit Griechenlands zu erhalten. Es wird ein Programm verabschiedet, das dem Land hilft, innerhalb von drei Jahren wieder auf die Beine zu kommen. Noch sind Korrekturen notwendig. Aber die Aussicht ist da, dass Griechenland es schaffen kann.

Populärer werden Rufe nach der D-Mark oder nach einem Rauswurf Griechenlands aus dem Euro-Raum. Was antworten Sie den Nostalgikern? Dr. Chatzimarkakis: Der Rauswurf von Griechenland würde zu einer Einführung der Drachme und derer massiven Abwertung führen. Damit wäre Griechenland unfähig, die bestehenden Schulden -- die in Euro zu Buche stehen -- zu bezahlen. So was könnte man auch als "Todesspirale der Abwertung" bezeichnen. Einer der größten Gläubiger, Deutschland, würde dann leer ausgehen. Die Kosten würden dann auf den Steuerzahler abgewälzt werden. Ein Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone wäre ebenfalls extrem teuer und hätte unabsehbare wirtschaftliche Folgen.

Wieder steht die Politik -- und damit der Steuerzahler -- für fragwürdige Kreditpolitik gerade. Haben wir aus der Finanzkrise nichts gelernt? Dr. Chatzimarkakis: Zunächst einmal: Noch fließt kein Steuergeld nach Griechenland, sondern lediglich Bankkredite von der öffentlichen KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau). Wenn alles gut läuft, wird die Bundesrepublik dabei sogar eine hohe Millionensumme an Gewinn machen, da Berlin Darlehen an Athen zu einem höheren Zins vergibt, als es selbst auf dem Kapitalmarkt zahlen müsste. Fakt ist aber auch, dass wir aus der Finanzkrise nichts gelernt haben, wenn wir den Ratingagenturen die absolute Deutungshoheit bei der Bewertung von Volkswirtschaften überlassen. Hier ist sofortiges Handeln unbedingt nötig, um einen Dominoeffekt unter den anderen Defizitsündern im Euroraum zu verhindern.

Reichen die 45 Milliarden Euro für 2010 oder droht ein Fass ohne Boden? Dr. Chatzimarkakis: Die 45 Milliarden müssen am kommenden Wochenende noch von IWF, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission bestätigt werden. Danach werden wir klarsehen, ob diese Summe 2011 und 2012 jeweils noch mal gestemmt werden muss oder nicht. Ich denke, wenn Griechenland das Sparpaket umsetzt, hat das Fass einen Boden.

Können steigende Zinsen und der verordnete radikale Sparkurs Griechenland erst recht in den Staatsbankrott treiben? Dr. Chatzimarkakis: Die steigenden Zinsen sind ein vo"rübergehendes Phänomen, gespeist aus der Sorge, dass das Risiko zu groß ist. Sobald das Hilfspaket greift, geht der Risikoaufschlag wieder runter. Bezogen auf die griechische Wirtschaft ist das Sparpaket allerdings einzigartig in der jüngeren Geschichte. Vergleichbar ist es nur mit der Brüningschen Deflationspolitik in der Weimarer Republik -- die bekanntlich in der politischen Katastrophe des Dritten Reiches endete. Es muss also neben dem Sparprogramm weitere Bemühungen geben, um die griechische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Derzeit sammeln wir Ideen, wie die griechische Wirtschaft eigeninitiativ werden kann.

Weckt Europa mit der Nothilfe für Griechenland nicht zu erfüllende Begehrlichkeiten, falls auch Spanien, Portugal oder Italien straucheln? Dr. Chatzimarkakis: Es war von entscheidender Bedeutung, eine Brandmauer um Griechenland zu ziehen, damit der Domino-Effekt nicht einsetzt. Deswegen muss dieses Hilfspaket auch den Charakter der Einmaligkeit haben und darf nur als Ultima ratio ausgezahlt werden, um Schaden von der Euro-Zone abzuwenden. Gleichwohl wirft die unmittelbare Abwertung Portugals durch die Ratingagenturen die Frage auf, ob es dort eine Strategie gibt, den Dominoeffekt zu fördern. Daher brauchen wir dringend eine neue Ausgestaltung der Finanzaufsicht ESMA. Eigentlich sollte sie erst zum 1. Januar 2011 aktiv werden. Das muss vorgezogen werden, um Inte"ressenkonflikte zwischen Ratingagenturen und Bankhäusern auszuschließen.

Ist die Einbindung des IWF in das Hilfspaket nicht ein Offenbarungseid des größten Wirtschaftsraumes der Welt? Washington und Peking wird so Zugriff auf EU-Währungspolitik gewährt. Dr. Chatzimarkakis: Die Methode des IWF zur Sanierung von Staaten halte ich für absolut richtig. Die EU hatte bisher keinen Methodenkatalog, wie man Volkswirtschaften aus derartigen Krisen wieder rausholt. Ich war aber von Anfang an gegen die Verwendung von IWF-Geld im Hilfspaket. Denn damit hat man automatisch die große Vetomacht USA mit in der Kommandozentrale des Euroraums. Das war nicht vorgesehen, schließlich ist der Euro ein strategisches Mittel, um Europas Wettbewerbsfähigkeit global zu sichern. Eigentlich hätte Europa die Verwendung von IWF-Geldern verhindern müssen.

Das Nichteingriffsgebot wurde damals auf deutschen Druck in der Währungsunion zementiert. Wird es Zeit, dass es gestrichen wird? Dr. Chatzimarkakis: Ich halte nicht so viel davon, die No-Bail-out-Rule, die Regel, dass kein EU-Land das andere aus einer Schuldensituation heraushauen darf, zu streichen. Ich bin eher dafür, dass man den Stabilitätspakt buchstabengetreu umsetzt -- was leider in den vergangenen zehn Jahren nicht der Fall war. So gab es nach der Statistikfälschung Griechenlands ein gezieltes Wegschauen. Und der damalige Innenminister Wolfgang Schäub"le hatte ein Veto eingelegt gegen mehr Aufsichtsrechte von Eurostat. Damit hat er eine bessere Umsetzung des Stabilitätspaktes mitverhindert. Andererseits hat Deutschland unter Finanzminister Hans Eichel den Stabilitätspakt aufgeweicht. Das Gegenteil muss getan werden. Auf der Basis des Nichteingriffsgebotes muss der jeweilige Defizitsünder vom Verteilungsprozess ausgeschlossen werden. Strafen müssen automatisch und ohne vorherige Verhandlungen der Staaten verhängt werden.

Wie kann Europa gewährleisten, dass Athen das Spar- und Reformpaket umsetzt? Dr. Chatzimarkakis: Das gelingt nur durch eine stärkere Haushaltsaufsicht seitens der EU-Kommission. Ich fordere seit langem einen EU-Sonderbeauftragen für dieses Programm. Welche Kontroll- oder Gestaltungsmöglichkeiten hat das Europäische Parlament in dieser Krise? Dr. Chatzimarkakis: Das Europäische Parlament hat dazu beigetragen, dass in Europa neue Bankenaufsichtsmechanismen schnell und umfassend umgesetzt wurden. Es stieß an, dass die Rolle von Eurostat bei der Überwachung des Stabilitätspaktes gestärkt werden soll -- was aber von Mitgliedsstaaten blockiert wurde. Jetzt haben wir einen Sonderausschuss zur Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise eingerichtet. In der Vergangenheit war es oft so, dass die Kommission den in derartigen Ausschüssen formulierten Vorschlägen gefolgt ist. Darin liegt unsere Aufgabe etwa bei der jetzt anstehenden Schaffung einer europäischen Ratingagentur.

Birgt Griechenlands Tragödie eine Chance? Mehr wirtschaftliche Koordinierung würde mehr Europa bedeuten und den Geburtsfehler des Euro beheben. Dr. Chatzimarkakis: In der Tat hat der Euro den großen Geburtsfehler, eine Währungsunion ohne eine gleichzeitige echte politische Union geschaffen zu haben. Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, mehr Kohärenz in die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu bringen -- also unsere Wirtschaftspolitik besser aufeinander abzustimmen. Anderenfalls drohen Ungleichgewichte im Euro-Raum, die der Euro eventuell nicht überlebt. Daher müssen wird die Lehren rasch ziehen und umsetzen. Dann gehen wir aus dieser Krise gestärkt hervor.

Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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