Landeszeitung Lüneburg: Unter dem Druck des Westens scharen sich die Iraner um die Flagge
Prof. Henner Fürtig: Militärschlag Israels hat zweifelhafte Erfolgsaussichten und brächte Teherans Regime Zulauf
Lüneburg (ots)
2011 stand der Nahe Osten im Zeichen des arabischen Frühlings, 2012 dürfte der Streit um Irans Atomprogramm dominieren. Während Israel immer lauter mit dem Säbel rasselt, tobt im Iran ein Machtkampf. Prof. Henner Fürtig vom GIGA-Institut in Hamburg warnt vor einem Waffengang: "Er bringt wenig und setzt nebenbei eine ganze Region in Flammen."
Hat die Welt nur noch die Wahl zwischen einer Atommacht Iran und einem Krieg mit Iran?
Prof. Dr. Henner Fürtig: Das bleibt eine offene Frage. Die Frage, ob Iran sich atomar bewaffnet ist keine, die sich nur aus aktuellen Entwicklungen des Jahres 2012 speist, sondern letztendlich so alt wie die Islamische Republik Iran selbst ist. Die ersten Debatten über eine mögliche iranische Atombombe gab es bereits 1979. Ich möchte deshalb davor warnen, dieser Frage eine zu große tagespolitische Brisanz zuzubilligen.
Könnte die Welt mit einem atomar bewaffneten Iran leben?
Prof. Fürtig: Am Ende werden die politischen Entscheidungsträger abwägen müssen, ob sie unter Prüfung aller Vor- und Nachteile einen Militärschlag gegen den Iran wagen, um einer möglichen Atombombe zuvorzukommen. Aus meiner Sicht sprechen eher viele Argumente dafür, dass auch ein atomar bewaffneter Iran eine politische Größe ist, mit der man lernen kann umzugehen. Selbstverständlich wäre es schmerzhaft, wenn die Weiterverbreitung von Atomwaffen nicht unterbunden würde. Aber obwohl dies etwa auch im Falle Pakistans ebenfalls nicht gelang, blieb dessen Regime eine berechenbare Größe. Die Alternative ist ein Krieg. Und nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan kann ich mir nur schwer vorstellen, dass irgendjemand im Westen eine militärische Option ernsthaft bevorzugt.
Im Falle Pakistans und Indiens wirkt das atomare Patt stabilisierend. Würde eine Atommacht Iran nicht die Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten bewegen, nachzuziehen?
Prof. Fürtig: Die Gefahr besteht in der Tat. Einige Politiker dieser Länder haben sich bereits entsprechend geäußert. Aber aus der Sicht Irans sieht die strategische Lage gänzlich anders aus - und zwar nicht nur aus der Sicht der Staatsführung, sondern auch großer Teile der Bevölkerung. Selbst, wenn wir seit 2009, seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen, von einer verschärften innenpolitischen Krise sprechen müssen, gibt es eine einzige Frage, in der in Iran gräbenübergreifend Einheit hergestellt werden kann: Nämlich, dass Iran das souveräne Recht hat, Atomenergie zu nutzen. Im offiziellen Diskurs wird natürlich nur die friedliche Nutzung der Atomenergie genannt. Aber selbst bei der Frage der atomaren Bewaffnung, verweisen viele Menschen darauf, dass das Land von Atommächten umzingelt sei, und deshalb schon aus Gründen der Gleichberechtigung nachziehen müsse.
Hat das Ende Gaddafis Teherans möglichen Willen zur Bombe gestärkt? Der Libyer gab 2003 sein Atomwaffenprogramm auf und wurde angreifbar.
Prof. Fürtig: Wir bewegen uns hinsichtlich iranischer Aufrüstungsambitionen natürlich im Bereich der Spekulation. Die letzte halboffizielle Einschätzung amerikanischer Geheimdienste kam 2007 noch zu dem Schluss, dass Teheran sein Atombombenprogramm 2002 eingestellt hätte. Wenn Iran tatsächlich im Geheimen an der Bombe baut, dann aber weniger wegen Gaddafi, sondern wegen George W. Bush. Nachdem dieser den Irak, Nordkorea und Iran auf einer sogenannten "Achse des Bösen" verortet hatte, wurde der Nachbarstaat angegriffen, Saddam Hussein gestürzt. Nordkorea blieb ungeschoren. Die Lehre daraus könnte lauten, dass nur die Bombe Unangreifbarkeit verleiht.
In den vergangenen Jahrzehnten verpufften Sanktionen des Westens. Kann das Öl-Embargo Erfolg haben, solange China, Russland und Indien es unterlaufen?
Prof. Fürtig: Die Sanktionen haben durchaus einen erheblichen Effekt auf die iranische Wirtschaft. Die ohnehin prekäre Lage nach Jahrzehnte währender Isolation ist noch verschärft worden. Dennoch ist fraglich, dass ein Öl-Embargo die Führung zum Einlenken bringen könne. Vielmehr scharen sich die Bürger auch aufgrund sehr negativer geschichtlicher Erfahrungen mit ausländischer Bevormundung um die Flagge, wenn der Staat unter Druck gesetzt wird. Es ist dem Regime relativ leicht möglich, die Verelendung vieler Bürger als Folge eines westlichen Manövers zur Aushebelung des iranischen Selbstbehauptungswillens darzustellen.
Kann ein Öl-Embargo über einen explodierenden Ölpreis auf den Westen zurückschlagen?
Prof. Fürtig: Der Anteil iranischen Öls auf dem Weltmarkt ist nicht so groß, dass global ernsthafte Erschütterungen zu befürchten sind - zumal Saudi-Arabien angekündigt hat, für ausfallende Lieferungen die eigene Förderung zu erhöhen. Es träfe die Verbraucherländer sehr unterschiedlich: Deutschland kaum, China und Indien stärker.
Sie schilderten, dass internationaler Druck geeignet ist, dass sich die zersplitterte iranische Gesellschaft in einem Burgfrieden eint. Gibt es denn einen Hebelpunkt, um die Zersplitterung der Gesellschaft auszunutzen?
Prof. Fürtig: Das hat man in der Vergangenheit vielfach vergeblich versucht. Die islamische Revolution ist eine der großen Massenrevolutionen der Neuzeit, vergleichbar mit der Französischen und der Russischen Revolution. Umwälzungen dieser Größenordnung entwickeln vergleichbare Verhaltensmuster: Werden derartige Revolutionen etwa von außen angegriffen, entwickeln sie trotz aller internen Machtkämpfe ein erstaunliches Maß an Widerstandskraft. Wurde in der Vergangenheit versucht, auf Oppositionsbewegungen Einfluss zu nehmen - unmittelbar nach der Revolution etwa auf die Royalisten, heute auf die Grüne Bewegung - spielte das dem Regime in die Hände, weil die Opposition als Handlanger ehemaliger Hegemonialmächte diffamiert werden konnte.
Muss Israel einen nuklearen Holocaust befürchten oder sind das nur leere Teheraner Drohungen?
Prof. Fürtig: Ich kann nachvollziehen, dass Israels Regierung und Bevölkerung angesichts ständiger Drohungen aus Teheran in höchster Besorgnis leben. Es ist aus israelischer Sicht ein Alptraum, dass Iran über Atomwaffen verfügt. Die Frage ist halt nur - und darauf läuft es am Ende bei der Entscheidungsfindung hinaus -, ob ein Militärschlag gegen Irans Atomanlagen das Risiko für Israel verringert oder vergrößert? Und da sagt die Mehrheit der Militärexperten, dass es extrem unwahrscheinlich wäre, mit einem Militärschlag Irans atomare Kapazitäten vollständig zu zerstören. Man könnte einen aufschiebenden Effekt erzielen, aber das Wissen bliebe erhalten und in paar Jahren stünde man vor der selben Situation. En passant hätte man aber eine ganze Region in Brand gesetzt.
Seit Monaten führt Israel einen Schattenkrieg gegen den Iran - Wissenschaftler werden liquidiert, Computerviren legen Zentrifugen lahm. Nimmt Israel auch die letzte Eskalationsstufe?
Prof. Fürtig: Die Gefahr ist real. Anders wäre nicht zu erklären, dass der gerade aus dem Amt geschiedene Mossad-Chef sich öffentlich vehement gegen einen Militärschlag ausspricht. Wer, wenn nicht der Ex-Geheimdienstchef Israels hat Einblick in den Stand des iranischen Atomprogramms? Je direkter die Spezialisten in den Konflikt um Irans Ambitionen eingebunden sind, desto deutlicher sprechen sie sich gegen einen Militärschlag aus.
Doch schon einmal setzte sich Israel über Bedenken hinweg - auch solche der USA - beim Luftschlag gegen Syrien. Wagt Israel den Alleingang?
Prof. Fürtig: Natürlich wird Israel als souveräner Staat seine Entscheidung letztlich alleine fällen - wie Netanjahu das ja auch jüngst in Washington betont hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es bei einer derart wichtigen Frage nicht zu entscheidenden Konsultationen mit Washington kommt. Letztlich würde der nächste Nahost-Krieg vom Zaun gebrochen; in einer Region, die durch den arabischen Frühling extrem instabil geworden ist. Das ist etwas anderes als einen Reaktor in Syrien anzugreifen.
Das Interview führte Joachim Zießler
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