All Stories
Follow
Subscribe to Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: Putin wird jedes Amtsjahr gefährlicher
Prof. Otto Luchterhandt: In Russland ist die Fratze des Maßnahmenstaates immer sichtbarer

Lüneburg (ots)

Der Kreml hat die Annäherung der EU und der Ukraine erfolgreich unterbunden. Russlands Präsident Wladimir Putin sendet seit Jahren eine klare Botschaft: Die Einmischung des Westens in seinen Herrschafts- und Einflussbereich wird nicht geduldet. Das musste auch der renommierte Lüneburger Jurist Prof. Otto Luchterhandt erfahren. Nachdem er das Verfahren gegen Ex-Yukos-Chef Chodorkowski kritisiert hatte, läuft er Gefahr, in Russland juristisch verfolgt zu werden. Eine Bestandsaufnahme.

Sind Sie stolz? Nicht jeder wird von Wladimir Putin als so einflussreich erachtet, dass versucht wird, ihn einzuschüchtern.

Prof. Otto Luchterhandt: Stolz bin ich nicht. Dieser Angriff der Ermittlungsbehörde auf mich beeinträchtigt meine wissenschaftliche Arbeitsfähigkeit. Russisches Territorium ist für mich de facto gesperrt. Sobald ich russischen Boden betrete, muss ich muss damit rechnen, von Ermittlern beiseite genommen und hochnotpeinlich befragt zu werden. Formell sollte ich zwar als Zeuge vernommen werden, doch die 37 Fragen an mich sind so formuliert, dass ich tatsächlich Angeklagter in einem möglichen dritten Prozess gegen Michail Chodorkowski gewesen wäre - und zwar wegen Geldwäsche. Zerknirscht bin ich aber nicht. Der Vorgang ist eine gewisse Form der Anerkennung dafür, dass ich die russische Justiz getroffen habe.

Sie haben Ihr ganzes Berufsleben Russland gewidmet. Wie sehr schmerzt es, zur unerwünschten Person erklärt zu werden?

Prof. Luchterhandt: Das ist sehr schmerzlich, weil ich dort viele gute Freunde und Kollegen habe. Sie setzen sich seit Jahren dort für Menschenrechte und Demokratisierung ein. Paradox ist für mich, 2013 in eine solche Situation geraten zu sein. 1966 - in tiefsten Sowjetzeiten - beließ es die Staatssicherheit bei meiner Ausreise in Brest bei einer Leibesvisitation. Es bestand aber nie die Gefahr, ein De-facto-Besuchsverbot für das Land zu bekommen. Ich habe an der Formulierung der russischen Verfassung, deren 20-jährigen Bestehens gerade gedacht wird, mitgearbeitet. Mit dieser Zäsur musste ich jetzt nicht rechnen. Zudem entrüstet es mich, dass ich für ein Gutachten abgestraft wurde, dass ich nur als Ordnungsruf an die russische Justiz, rechtsstaatliche Regeln einzuhalten, klassifizieren würde.

Sind Sie ein Bauernopfer, um inländische Kritiker einzuschüchtern?

Prof. Luchterhandt: Nein. Dies ist nur ein Nebeneffekt. Ich bin kein Bauernopfer, sondern ein Kollateralschaden. Chodorkowski wird nach Absitzung seiner Strafe im August 2014 entlassen werden. Bereits seit 2003 arbeiten die Ermittler an einem dritten Prozess, um diese Freilassung zu verhindern. Aber offenbar ging das Kalkül nicht auf, ihn wegen Mordes zu belangen. Der ehemalige Yukos-Sicherheitschef Alexej Pitschugin war in einem unfairen Indizienverfahren wegen Mordes zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Offenbar hat sich Pitschugin aber nun in mittlerweile zehn Jahren nicht weichklopfen lassen, um Chodorkowski in irgendeiner Weise wegen vermeintlicher Auftragsmorde zu belasten. Also schwenken die Ermittler um. Sie versuchen, dem ehemaligen Yukos-Eigner Geldwäsche in schwerem Fall anzuhängen, wie das Rechtshilfeersuchen in meinem Fall an Berlin offenbart. Das Konstrukt ist bizarr: Danach würden die Yukos-Aktiva von Chodorkowski eingesetzt, um inländische Kritiker und Ausländer wie mich zu bezahlen, um eine Milderung des russischen Strafrechtes als Voraussetzung für die Freilassung Chodorkowskis zu erreichen.

Garri Kasparow hat im Interview mit unserer Zeitung bei Putin sogar paranoide Züge ausgemacht. Gibt es einen Realitätsverlust wie einst bei Stalin?

Prof. Luchterhandt: So weit sind wir noch nicht. Putin ist als Ex-Geheimdienstler ein vorsichtiger Politiker. Er ist Pragmatiker. Doch je länger er an der Macht ist - und nun hat er die Möglichkeit, dies noch elf Jahre zu sein -, desto selbstherrlicher, arroganter, einsamer und auch gefährlicher wird er. Das Phänomen einer zu langen Herrschaft. Alle Menschen in seiner Nähe verdanken ihre Posten ihm. Die Art, wie er Medwedew in der Phase der "Tandemokratie" für den Fall eingehegt hatte, dass dieser ein ungesundes Gefallen an der Macht findet, belegt, dass Putin keine Freunde hat. Er hat nur noch Untergebene oder Unterworfene. Beide reden ihm nach dem Mund, was beim Herrscher zu Realitätsverlust führt. Gleichwohl gibt es das faszinierende Phänomen einer recht freien Presse im Print-Bereich. Investigative Journalisten nehmen kein Blatt vor den Mund. Dass sie noch schreiben dürfen, zeigt, dass Putin mit dieser Kritik noch leben kann. Nach Herbert Marcuse kann man dies als "repressive Toleranz" bezeichnen.

Sie haben die Verfahren gegen Chodorkowski und Lebedew beleuchtet. Welchen Inhalt hat ihr Ordnungsruf?

Prof. Luchterhandt: Ich werfe der russischen Justiz eine Verhöhnung des Rechtes vor. Im Mai 2005 waren beide wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden - es gibt einige Experten, die sagen würden, zu Recht. In diesem Verfahren galten beide als Eigentümer beziehungsweise Chef von Yukos. Am 27. Dezember 2010 wurden sie wegen desselben Komplexes verurteilt, aber die juristische Bewertung wurde völlig verdreht. Nun galten beide nicht mehr als Eigentümer des Erdöls von Yukos, sondern deren Tochtergesellschaften. Demnach hätten sie das Eigentum unterschlagen. Das zweite Urteil steht im logischen Widerspruch zum ersten. Das ist zynischer Rechts-Nihilismus.

Seit 20 Jahren ist Russland ein Rechtsstaat. Wo klaffen Verfassung und Verfassungswirklichkeit besonders krass auseinander?

Prof. Luchterhandt: Die größte Diskrepanz liegt bei der Gewaltenteilung. In der Ära Jelzin war die Duma dominiert von Kommunisten und Nationalisten. Jelzin gelang es nur im Zusammenspiel mit den mächtigen Provinzfürsten, die in der zweiten Kammer, dem Föderationsrat, saßen, die Gegenspieler in der Duma bei der Gesetzgebung auszuhebeln. Er musste Kompromisse schließen. Das war eine rohe Form der Gewaltenteilung. Damit hat Putin mit Hilfe des Staatssicherheitsdienstes FSB Schluss gemacht. Dessen Dossiers über die Provinzfürsten, die alle Dreck am Stecken hatten, setzte er rücksichtslos ein. Unter dem Druck der juristischen Verfolgung fusionierte die Partei der Provinzfürsten "Vaterland" mit seiner eigenen "Einheit". Diese neue Kreml-Partei erreichte dann bei den Duma-Wahlen von 2003 eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit. Mittlerweile ist die Legislative gleichgeschaltet. Dazu musste Putin nicht mal die Verfassung ändern. Es reichte, alle Schlüsselgesetze unterhalb der Verfassung zu ändern. Seit seiner Rückkehr ins Präsidentenamt hat Putin eine härtere Gangart eingeschlagen. Der Einfluss des zivilen Flügels wurde zugunsten der Geheimdienstler beschnitten.

Defekte Demokratie, gelenkte Demokratie oder Autokratie - was ist Russland?

Prof. Luchterhandt: Eine Autokratie ist Russland noch nicht. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass man 2023 - ein Jahr vor den übernächsten Präsidentschaftswahlen - von einer Autokratie sprechen muss. Denn dann hat sich der Präsident so weit vom Rest der Gesellschaft entkoppelt, dass er sich wie Stalin alles leisten kann. Russland ist ein autoritäres Präsidialregime, das sich der demokratischen Mechanismen manipulativ bedient, die in der Verfassung verankert sind. Typisch für autoritäre Regime ist die Existenz eines Bereiches in der Gesellschaft, in dem eine gewisse Freiheit zugelassen wird. Es gibt eine kontrollierte Opposition. Die Gesetze sind häufig nicht schlecht. Passen sie aber den Interessen des Kreml nicht, werden sie rücksichtslos ignoriert. Nach Ernst Fraenkel kann man hier einen "Doppelstaat" erkennen, Normen- und Maßnahmenstaat nebeneinander, wobei die Fratze des Maßnahmenstaates immer sichtbarer wird. Es legt sich Mehltau über die Gesellschaft. Man hat wieder Angst. Andererseits schlucken viele Menschen nicht mehr alles, angefeuert durch existenzielle Nöte. Die einfachen Leute werden rabiat und protestieren.

Gelingt es Putin, mit der nationalistischen und fremdenfeindlichen Karte - Stichwort "inneres Ausland" - die sich bildende Zivilgesellschaft gleichzuschalten?

Prof. Luchterhandt: Es gelingt ihm zu gut. Das beste Beispiel ist das "Pussy-Riot-Urteil". Die Provokation in der Erlöserkirche stieß auf breite Ablehnung in der Gesellschaft. Mit der Härte gegenüber den Frauen hat Putin gepunktet. Noch stärker gelingt ihm das mit dem Verbot von Gay-Paraden. In der Folge sind Homosexuelle in vielen Regionen Russlands mittlerweile Freiwild. Das dritte derartige Herrschaftsinstrument ist der großrussische Nationalismus. Sehr vielen slawischen Russen gelten kaukasische Muslime nicht als echte Russen. Das Anfachen des Fremdenhasses zur Herstellung von Legitimität ist aber zweischneidig. In vielen Kaukasusrepubliken wächst das Gefühl, nicht mehr zu Russland zu gehören. Zugleich hält der Exodus der Slawen aus diesen Republiken an. In Dagestan etwa leben heute nur noch 4 Prozent Slawen. 1959 waren es noch 31 Prozent. Am Ende wächst die Gefahr von Abspaltungen, die Einheit des Landes könnte in einigen Jahrzehnten gefährdet sein.

Ein russisches Sprichwort besagt, dass die Tür zur Freiheit von innen geöffnet werden muss. Kann die zersplitterte Opposition dazu den Anstoß liefern?

Prof. Luchterhandt: Das ist ein kluges Wort. In der Tat muss die Verfassung von innen verteidigt werden. Europarat und OSZE können nur begrenzt Hilfestellung leisten. Es gilt, oppositionelle Kräfte zu ermutigen, finanziell, aber vor allem psychologisch. Der Westen muss Flagge zeigen, in dem er deutlich macht, dass wir die selben Werte teilen. Das kann im Einzelfall sogar Wirkung zeigen, wenn es auch nicht das System in Gänze ändert. Seit Monaten versucht der Kreml, die Annäherung zwischen der EU und der Ukraine sowie Georgien zu torpedieren.

Endet die Zeit, in der Berlin als Anwalt Moskaus in Europa auftrat?

Prof. Luchterhandt: Gute Frage. Tatsächlich waren wir lange Zeit gerade unter Kohl und Kinkel in massiver Weise Anwalt des Kreml. Diese besondere Beziehung erlitt 2007 beim Streit um die NATO-Osterweiterung und 2008 beim Fünf-Tage-Krieg gegen Georgien einen irreparablen Schaden. Die Beziehung hat sich aber auch geändert, weil der Rohstoff-Gigant Russland nicht mehr auf Deutschland als Mittler angewiesen ist. Deutschland muss ein großes Interesse daran haben, die Ukraine aus dem Orbit Russlands herauszulösen und an die EU anzudocken. Ob das gelingt, ist es bei den starken Sympathien für Russland in dem gespaltenen Land aber fraglich. Der EU kann in die Karten spielen, dass Kiew nicht mehr eine Kolonie Moskaus sein möchte.

Russland träumt als Öl- und Gas-Supermacht vom ewig rollenden Rubel. Verheddert es sich im Ressourcenfluch, weil Moskau wegen des leichten Geldes auf Modernisierung verzichtet?

Prof. Luchterhandt: Ja, und es ist erschütternd, wie wenig Russland aus seinen Möglichkeiten macht und wie wenig von den eigenen Vorsätzen umgesetzt wird. Alle Vorhaben, die Industrie zu diversifizieren, das verarbeitende Gewerbe und den Mittelstand zu stärken, verpufften. 45 Prozent des Bruttosozialproduktes werden auf dem Schwarzmarkt erwirtschaftet. Der Export wird von Rohstoffen und Waffen dominiert. Die Konkurrenzfähigkeit ziviler russischer Waren auf dem Weltmarkt sinkt. Im Rückgriff auf sowjetische Denkmuster gilt heute wieder, dass es der Staat machen muss.

Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original content of: Landeszeitung Lüneburg, transmitted by news aktuell

More stories: Landeszeitung Lüneburg
More stories: Landeszeitung Lüneburg