Landeszeitung Lüneburg: Interview mit Niedersachsens Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel
Lüneburg (ots)
Laut Weltklimarat kostet es nicht die Welt, die Welt vorm Kollaps zu bewahren. Macht die Landesregierung genug in Sachen Klimaschutz? Stefan Wenzel: Nein, die Landesregierung ignoriert das Thema bisher weitgehend. Ministerpräsident Wulff und die CDU-Fraktion haben zwar eine Veranstaltung zu dem Thema durchgeführt, doch das schlägt sich bislang im politischen Handeln nicht nieder. Wir haben jetzt den "Generalplan Küstenschutz" auf den Tisch bekommen. Darin geht die Landesregierung davon aus, dass der Meeresspiegel in den kommenden 100 Jahren nur um 25 Zentimeter steigen wird. Die Klimaforscher gehen dagegen von einem Anstieg zwischen 80 Zentimetern und einem Meter aus. Könnte ein Tempolimit auf niedersächsischen Autobahnteilstücken ein Signal sein für eine entsprechende Bundesrats"initiative? Wenzel: Ein Tempolimit wäre sicherlich eine sinnvolle Maßnahme, insbesondere auch unter dem Aspekt Verkehrssicherheit. Aber wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir mit einer solchen Maßnahme den Klimawandel aufhalten könnten. Dazu sind grundsätzlichere Veränderungen notwendig. So müssen wir die Energieversorgung der Haushalte angehen. Heute hat der normale Haushalt eine Heizung und bezieht parallel Strom aus einem Großkraftwerk. Wenn wir unsere Energieversorgung umstellen auf Blockheizkraftwerke, die gleichzeitig Strom und Wärme produzieren, können wir 50 Prozent CO2-Emissionen einsparen. Das stößt natürlich auf Widerstand bei den großen Stromversorgern, würden ihnen doch viele kleine Mitbewerber erwachsen. Mit einer solchen grundlegenden Energiewende könnten wir auf neue Kohlekraftwerke verzichten. Dennoch will Hannover drei neue Kohlekraftwerke genehmigen. Was wäre sinnvoller? Wenzel: Neben dem Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen sowie der Bestückung von Dachflächen mit Solaranlagen müssen alte Windkraftanlagen im Binnenland ersetzt werden. Dazu ist der Ausbau von Offshore-Anlagen vor den Küsten erforderlich. Der Sektor Bioenergie muss gestärkt werden. Das Modell des Dorfes Jühnde, südwestlich von Göttingen, das seine Energie zu 100 Prozent aus Biomasse bezieht, kann im Grunde auf jedes niedersächsische Dorf übertragen werden. Das Fatale im Moment ist, dass der Emissionshandel wie ein Förderprogramm für die Kohle wirkt. Weil die Bundesregierung die Emissionsrechte verschleudert oder sogar verschenkt hat, ist der Markt zusammengebrochen. Die Kosten für eine Tonne CO2-Verschmutzungsrecht liegen deutlich unter einem Euro. Deshalb rechnet es sich jetzt für die großen Konzerne, Kohle zu verstromen -- ungeachtet der Tatsache, dass dies klimapolitisch eine Fehlentscheidung ist. Der Preis müsste bei 35 bis 40 Euro liegen. In dem Bereich lag er auch schon mal vor einem Jahr. Der Emissionshandel kann so nicht weitergeführt werden: Entweder sollten die Anteile versteigert werden oder man wählt den ordnungspolitischen Ansatz und genehmigt kein Kraftwerk mehr mit einem Nutzungsgrad unter 65 Prozent. Heute kriegen die größten Verschmutzer die größten Verschmutzungsrechte. Man schenkt den Braunkohle-Stromproduzenten mehr Anteile als den Steinkohle-Stromproduzenten und denen wiederum mehr als den Gas-Stromproduzenten. So investiert niemand in die effizienteste Energieerzeugung. Das ist widersinnig. Hier passiert das Gegenteil von dem, was Umweltminister Gabriel öffentlich propagiert. Die drei geplanten neuen Kohlekraftwerke in Niedersachsen sollten keine Dauerbetriebsgenehmigung erhalten, weil wir sonst eine klimaschädliche Energieerzeugung auf 35 bis 40 Jahre festschreiben. Ist die niedersächsische Bauordnung fit für die Genehmigung effizienter Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen? Wenzel: Nein, man muss den Gemeinden mit der Bauordnung die Möglichkeit geben, Nahwärmeversorgung verpflichtend vorzuschreiben. Außerdem brauchen wir ein Gesetz, das den Einbau von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen auch in bestehenden Häusern unterstützt. Bundesweit hat die Kraft-Wärme-Kopplung einen Anteil von zehn Prozent, die Dänen haben bereits heute 50 Prozent. Da ist also noch Luft nach oben. In den Großkraftwerken wird überschüssige Wärme in die Flüsse gepumpt -- genauso wie in Atomkraftwerken. Deshalb ist deren Energieeffizienz so schlecht. Die von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen liegt bei 90 bis 95 Prozent. Zudem kann ich sie mit Gas oder Biomasse betreiben. Sollen die vorhandenen Atomkraftwerke länger laufen, um den Ausstoß von Klimakillern zu minimieren? Wenzel: Nein, das würde nur den vier großen Stromkonzernen dienen. Der Weiterbetrieb der steuerlich abgeschriebenen Atomkraftwerke bringt den höchsten Profit. Notwendig wäre deshalb, die Marktmacht der Konzerne zu brechen, indem kleinen und mittelständischen Stromerzeugern Zugang zum Markt gewährt wird. Hier fehlt aber sowohl bei SPD als auch bei CDU die Bereitschaft, sich mit den Stromkonzernen anzulegen. Niedersachsen ist Deutschlands Agrarland Nummer eins. Ist es auch Vorreiter in Sachen Agrarwende -- etwa beim Anbau von Biosprit? Wenzel: In Sachen Agrarwende sollte die Priorität immer auf dem Einsatz von Biogas zum Beheizen von Wohngebäuden liegen. Solange wir keine Autos haben, die deutlich weniger Benzin verbrauchen, ist der Einsatz von Bio-Kraftstoff eine sehr zweischneidige Angelegenheit. Ein Auto, das acht Liter oder mehr auf 100 Kilometer verbraucht, mit Bio-Sprit zu betreiben, ist nur vordergründig eine Umweltschutzmaßnahme. Es müsste soviel Ackerbaufläche vorgehalten werden, dass die Nahrungsmittelpreise stark steigen. Deutsche Ingenieurskunst hat weder den Hybridantrieb noch das 3-Liter-Auto auf den Markt gebracht. Sollte Niedersachsen sich aus VW zurückziehen, da seine Mitsprache bei der Konzernstrategie ohnehin begrenzt ist? Wenzel: Herr Wulff hatte bisher nicht den Willen, dort die richtigen Impulse zu setzen, hat in der Vergangenheit die 12-Zylinder-Fahrzeuge verteidigt. Ich glaube, VW hat nur dann eine Zukunft, wenn es gelingt, künftig sicherzustellen, dass das umweltfreundlichste Auto der Welt aus Niedersachsen kommt. Bisher steht gerade mal der Polo BlueMotion auf Platz 7 der Auto-Umweltliste. Aber eine Lieferzeit bis Oktober zeugt davon, dass Volkswagen den Markt völlig falsch eingeschätzt und zu sehr auf die Luxussparte gesetzt hat. Der entscheidende Impuls kommt vom Verbraucher, aber die Politik kann Druck machen auch im VW-Aufsichtsrat. Leider haben das weder die sozialdemokratisch noch die christdemokratisch geführte Landesregierung getan. Im Atommüllager Asse kam es zum GAU im Schacht. Welche Lehren sind daraus für die Endlagersuche zu ziehen? Wenzel: Die Asse ist ein Lager in einem Salzstock und als Versuchsendlager konzipiert worden. Jetzt soll daraus ein Endlager für die Ewigkeit gemacht werden. Nun mussten wir feststellen, dass die "ewige" Sicherheit schon nach 30 Jahren endet. Deshalb muss die weitere Einleitung von Magnesiumlauge sofort unterbunden und ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren eröffnet werden. Zudem zeigt die Asse, dass wir die ganze Endlagersuche neu aufrollen müssen. Wir brauchen ein ergebnisoffenes Endlagersuchverfahren. Hierbei sind Transparenz und Bürgerbeteiligung neben der geologischen Eignung des Untergrundes wichtige Kriterien. In Schweden ist das berücksichtigt worden, in Gorleben nicht. Damals waren die -- sachfremden -- Kriterien: dünn besiedelter Raum, Westwind und Nähe zur DDR-Grenze. Sagt das Asse-Desaster etwas über die generelle Eignung von Salzstöcken aus? Wenzel: Ein Kriterium von Atomendlagerung in Salzstö"cken ist die Nichtrückholbarkeit. Da habe ich große Bedenken. Sinnvoller ist es, die Möglichkeit offen zu lassen, dass künftige Generationen denkbare heutige Fehler korrigieren können. Die EU ermittelt in Sachen Kettensägenaktion gegen Umweltminister Sander. Ist das nur ein PR-GAU oder hat Niedersachsens Ruf ernsthaft gelitten? Wenzel: Ich denke, normalerweise reagiert die EU-Kommission in solchen Fragen eher mit Langmut. Doch hier ist ihr einfach der Kragen geplatzt, weil Herr Sander nicht nur mit der Kettensäge ins Naturschutzgebiet gegangen ist, sondern dann auch noch versucht hat, die EU-Kommission über die Aktion hinters Licht zu führen. Im Umweltministerium begreift man Ignoranz als besondere Tugend. Auch den Klimawandel hält man dort offenbar immer noch für eine Fata Morgana. Deshalb hatte der Minis"ter auch zunächst null Euro aus den EU-Strukturförderfonds für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz vorgesehen. Jetzt sind wohl zwölf Millionen Euro geplant. Das ist angesichts des Problems nicht ausreichend. Hamburg will die Elbe ausbaggern, Niedersachsen und Bremen bauen den Jade-Weser-Port. Kann sich Deutschland ökonomisch wie ökologisch den Verzicht auf eine nationale Hafenstrategie leis"ten? Wenzel: Nein, wir brauchen dringend ein nationales Hafenkonzept. Schon die bisherigen Elbvertiefungen haben die Deiche stark belastet. Hinzu kommt künftig der Anstieg des Meeresspiegels, der auch in die Flüsse drückt. Ein erneuter Baggereinsatz würde das Problem verschärfen. Ein Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven wäre die richtige Lösung. Dort könnten auch kommende Containergiganten anlegen und geleichtert werden. Es macht keinen Sinn, Schiffe mit immer größerem Tiefgang weiter nach Hamburg schippern zu lassen. Auch die Hamburger müssen sich Sorgen um ihre Deichsicherheit machen. Bisher fehlt es der niedersächsischen Landesregierung in den Fragen von Elbvertiefung und nationalem Hafenkonzept an Klarheit. In der Öffentlichkeit hört man aus Hannover eher kritische Stimmen zur Ausbaggerung der Elbe, in den Gremien soll dagegen nur abgenickt werden. Bei ihrer Gründung wurden die Grünen für ihre Öko-Ideen noch verspottet. Mittlerweile räumt selbst George W. Bush ein Problem beim Klima ein. Werden die Grünen überflüssig, wenn alle Parteien grüner werden? Wenzel: Nein, ganz bestimmt nicht. Weil wir leider erkennen müssen, dass zwar viele von Klimaschutz reden, die vorgeschlagenen Maßnahmen aber weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Das Interview führte Joachim Zießler
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