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Neue Westfälische: KOMMENTAR Das Versagen der Volksparteien Lagerschlachten zur falschen Zeit FRANZ WALTER

Bielefeld (ots)

Es ist Wahljahr. Und alles wie immer in
Wahljahren. Die beiden Volksparteien spielen das Stück vom Guten und 
Bösen: Der jeweils andere ist natürlich der schreckliche Tunichtgut, 
der üble Feind.
Misslich ist, dass der ganz und gar verabscheuungswürdige Gegner 
mindestens noch für ein halbes Jahr Partner in der 
Regierungskoalition ist. Funktionsfähige Allianzen brauchen eine Idee
der Kooperation, eine Kultur der Einsicht, dass der Erfolg des 
anderen zwingend auch die Voraussetzung für den eigenen Erfolg ist.
Klassische Kooperationsdemokratien wissen das, haben daher auch eine 
eigene Sprache, spezifische Techniken und Arrangements der 
Konfliktbewältigung. In Deutschland gibt es so etwas nicht. Auch in 
der Großen Koalition fühlte sich kaum einer wirklich in die Pflicht 
genommen, dem Zusammenspiel der beiden Volksparteien irgendwann 
einmal Fundament, Norm und Ziel zu liefern.
Und so haben sich nun die Spitzenleute von Sozialdemokratie und Union
kaltschnäuzig in die Schützengräben begeben und das Feuer aufeinander
ohne Rücksicht auf Verluste eröffnet. Nur imponiert außerhalb des 
Berliner Regierungs- und Medienviertels niemandem diese unreife 
Indianerspielerei kleiner Jungs.
Die Auseinandersetzung zwischen den Parteien, die im föderalen 
Deutschland durch die vielen Wahlen chronisch ist, fördert eine 
Mentalität, die Kooperationseigenschaften zuwiderläuft. Der Gegner 
wird zum Buhmann.
Der Konfliktkurs treibt nicht nur regelmäßig die beiden Volksparteien
gegeneinander, sondern festigt auch die überkommenen Lager stets aufs
Neue. Insofern sind bislang unerprobte Allianzen jenseits der Großen 
Koalition, sei es nun die Ampel (Rot-Gelb-Grün) oder Jamaika 
(Schwarz-Gelb-Grün), auch schwer zu schmieden.
Also müsste schon der Wähler selbst für Beweglichkeit sorgen. Mit 
dieser Flexibilität sollte es, glaubt man den Auguren des politischen
Geschäfts, eigentlich vorzüglich bestellt sein. Schließlich sind die 
meisten Interpretatoren davon überzeugt, dass der moderne Wähler 
ungerührt die Seiten wechselt, wenn ihm der bisherige Anbieter nicht 
mehr zusagt.
Aber: Was hat sich real in den vergangenen Jahren in den politischen 
Basispräferenzen der Deutschen gewandelt? Das sogenannte linke Lager 
(SPD/Grüne/Linke) vereint in der Demoskopie durchschnittlich 46 oder 
47 Prozent auf sich; die Werte für das altbürgerliche Lager aus 
CDU/CSU und FDP liegen eine Nuance höher.
Ein Großteil der Wähler orientiert sich nach wie vor entlang der 
klassischen Positionsachsen. Der Mangel an Wechselbereitschaft 
verhindert, dass den politischen Eliten strategischer Manövrierraum 
jenseits dieser überkommenen Lager zuwächst. Eben deshalb erleben wir
das Paradoxon: Das Land hat seit Monaten neue Probleme. Aber die 
Parteien inszenieren wie eh und je die alten Stücke.
Gastkommentator Franz Walter (53) ist Professor für Politische 
Wissenschaften an der Universität Göttingen. Er ist einer der 
bekanntesten Parteienforscher Deutschlands.

Pressekontakt:

Neue Westfälische
Jörg Rinne
Telefon: 0521 555 276
joerg.rinne@neue-westfaelische.de

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