Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Deutsche Reaktion auf US-Politik Zu groß, um klein zu sein ANNETTE HEUSER, WASHINGTON
Bielefeld (ots)
Seit letztem Sonntag überschlagen sich amerikanische Politiker und Journalisten mit der Kommentierung der Ermordung von Osama bin Laden. Der Tod des Staatsfeindes Nummer 1 wird einstimmig als großes historisches Ereignis bewertet. Während die Nachricht in den USA zum Ausbruch von tief emotionalen bis hin zu fußballweltmeisterschaftsähnlichen Szenen führt, herrscht in Deutschland tiefe Entrüstung darüber, dass sich Angela Merkel in ihrer ersten Reaktion erfreut über den Tod des Terroristenführers geäußert hat. Albern, der Bundeskanzlerin zu unterstellen, sie freue sich über den Tod eines Menschen. Typisch deutsch, wenn es darum geht, große weltpolitische Ereignisse erst einmal durch den Verweis auf linguistische Fehlleistungen kleinzureden. Die amerikanische und die deutsche Diskussion zum Tod des El-Kaida-Führers beweist einmal mehr, dass die politischen Kulturen auf beiden Seiten des Atlantiks nicht unterschiedlicher sein könnten. Auf der einen Seite Amerika, das in seiner erst 235-jährigen Geschichte vom Land der Siedler und Missionare zu Weltmachtstatus gelangt ist. Der Stolz auf das Militär ist untrennbar mit dem Stolz auf die Nation verbunden. Selbstbewusst, zupackend, im internationalen Konzert immer laut und immer dabei, so sehen sich die Amerikaner gerne selbst, und so werden sie von vielen in der Welt wahrgenommen. Auf der anderen Seite Deutschland, das sich nach 1945 wieder vorsichtig in der internationalen Staatengemeinschaft eingeordnet hat. Die deutsche Nachkriegspolitik läuft unter der Überschrift "Ja nicht auffallen". Man gestaltet die europäische und transatlantische Integration geräuschlos mit. So hat es lange gedauert, bis die Berliner Spitzenpolitiker von einem kriegerischen Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan gesprochen haben. Deutschland fühlt sich unwohl in seiner Rolle, die man ihm qua Größe und Gewicht weltweit zuweist. So war denn auch die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zur Libyen-Resolution keine wirkliche Überraschung für die amerikanischen Partner. Deutschland, so unkt man in den USA, wolle sich als Exportnation mit China und außenpolitisch mit Luxemburg messen. Das politische Berlin hingegen ist irritiert darüber, dass Europa und Deutschland für Präsident Obama nur noch ein Partner unter vielen in der Welt sind. China, Indien und Brasilien scheint die ungeteilte Aufmerksamkeit der amerikanischen Führung sicher zu sein. Doch ob in der NATO oder anderen internationalen Organisationen: Das Spannungsverhältnis zwischen amerikanischem Pathos und Aktionismus einerseits und deutscher Bescheidenheit und deutschem Augenmaß andererseits war das Erfolgsrezept atlantischer Kooperation. Aber die Welt hat sich verändert. Barack Obama wird gegenüber Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Staatsbesuch in den USA im Juni sicherlich erneut zur Sprache bringen, dass man sich eine stärkere und selbstbewusstere Rolle Deutschlands in der Welt wünscht. Dazu gehört dann auch, dass die Berliner Republik ein bisschen mehr Gespür für die großen Momente der Weltgeschichte entwickelt.Gastkommentatorin Annette Heuser ist die Leiterin der Bertelsmann-Stiftung in Washington DC.
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