Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar KOMMENTARE Wie die EU die Zukunft des Euros sichern will Wenn Defizit auf Krise trifft KNUT PRIES, BRÜSSEL
Bielefeld (ots)
Keine Frage - klare Linie sieht anders aus. Wo immer in diesen Tagen in Funk und Fernsehen Experten oder Politiker zur Eurokrise und zum Management derselben befragt werden (also ständig), erkundigt sich der Moderator:"Blicken Sie eigentlich noch durch?" Das ist ein Stoßseufzer, in dem sich ein allgemein verbreitetes Unbehagen bündelt: Nein, so richtig blickt von außen keiner mehr durch. Kommen Merkel und ihre europäischen Mitstreiter auf geradem, wenn auch verzweifelt langem Weg in Richtung Grundsanierung der Währungsunion überhaupt voran? Oder tappen sie, wie viele meinen, mit Trippelschritten orientierungslos durch dunkle Sackgassen? Nichts Genaues weiß man nicht. In der laufenden Etappe sind europäische (Gipfel) und deutsche (Bundestag) Beschlussfassung besonders unübersichtlich verknäuelt. Die Verschränkung dient der demokratischen Kontrolle, sorgt aber für zusätzliche Verzögerung und Verengung des Handlungsspielraums der Kanzlerin. Das hebt die Eleganz des Verfahrens nicht: Termine wollen gemacht, Vorlagen gedruckt, Fristen ein- und Abstimmungen abgehalten sein. Vor allem müssen Gehirne mit der Sache befasst und zur Meinungsbildung veranlasst werden. So was hält auf. Und es macht das übermächtige Deutschland für die europäischen Partner noch unheimlicher. Angela Merkel kennen sie wenigstens. Wolfgang Bosbach und Frank Schäffler nicht.Welche parlamentarische Formation wann die "Optimierung" des Rettungsschirms EFSF begutachten sollte, war bis zum Anfang der Woche nicht einmal den Dirigenten im Bundestag selbst klar, geschweige denn den deutschen Diplomaten, die daran ihre europäischen Verhandlungen auszurichten hatten. Wie das politische Leben so spielt, kommt in der allgemeinen Verunsicherung nicht die schlanke Lösung (Vertrauensgremium), sondern die schwerfälligste (Plenum) zum Zuge. Das ist misslich und mag im Einzelfall durch überflüssige Manöver verschlimmert werden. Im Kern sind aber Kuddelmuddel und Verzögerung kein Versagen der Handelnden, sondern der unvermeidliche Tribut an eine Notwendigkeit: In der EU, wie sie ist, sind langwierige und schwer mitvollziehbare Entscheidungsfindungen der Preis für ein Mindestmaß an demokratischer Abstützung - leider auch in Zeiten einer Großkrise. Leider? Besonders. Wenn Demokratie-Defizit auf Schulden-Krise trifft, kann man als Resultat kein politisches Designer-Modell erwarten. Das Gewurstel entspricht den Verhältnissen. Fazit: Mehr, als wir derzeit erleben, geben die herrschenden Verhältnisse, sprich die europäische Spielordnung, nicht her. Wer mehr will, etwa in Form einer "vollen Parlamentarisierung der Europäischen Union" (der frühere EU-Kommissar Verheugen), muss die EU-Verträge ändern und das deutsche Volk darüber abstimmen lassen. Kleine Frage zum Schluss: Wäre das wünschenswert? Ja - aber es bleibt vermutlich sehr viel Zeit, das zu erörtern.
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