Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar EU-Gipfel Demokratisch unterbelichtet KNUT PRIES, BRÜSSEL
Bielefeld (ots)
Eine Überarbeitung des gemeinsamen Vertrages ist für die EU ein Großunternehmen wie der Bahnhof Stuttgart 21 für die Schwaben. Es kostet, es dauert, und es nervt über die Maßen. Trotzdem - es muss sein. Angela Merkel will den ramponierten Ruf der Währungsunion durch eine juristische Maximallösung reparieren. Was die Euro-Staaten aus freien Stücken nicht getan haben, nämlich verantwortlich wirtschaften, dazu sollen sie sich jetzt mit äußerster Rechtsverbindlichkeit verpflichten. Der Königsweg wäre eine Disziplinklausel im EU-Grundrecht, dem Lissabon-Vertrag. Weil das aufwendig ist und die Zustimmung jeder einzelnen EU-Regierung sowie die Ratifizierung (teils per Volksabstimmung) in sämtlichen 27 EU-Staaten erfordert, haben Berlin und Paris eine alternative Route ausgekundschaftet. Sie soll den Partnern auf dem EU-Gipfel nähergebracht werden: ein Vertrag jenseits des EU-Regelwerks für die 17 Euro-Länder und solche, die sich anschließen wollen. Im Prinzip ähnelt "Siebzehn plus" dem Modell des Schengen-Vertrags. Auch die Vereinbarung über die Abschaffung der Grenzkontrollen hatte zunächst mit der EU nichts zu tun und wurde erst nach Jahren in den EU-Bestand übernommen. Bleibt dabei die Demokratie auf der Strecke? Bei nüchterner und vorläufiger Betrachtung ist ein Demokratiekollaps nicht zu befürchten, wohl aber eine Schwächung der EU. Zweierlei ist zu unterscheiden: das Verfahren, mit dem der "Siebzehn plus"- Vertrag eingeführt und rechtskräftig würde, sowie seine Auswirkungen in der politischen Praxis. Die Einführung liefe wie bei jedem anderen völkerrechtlichen Vertrag auch: durch Zustimmung der jeweiligen Regierung mit anschließender Bestätigung durch Parlamentsbeschluss oder Referendum. Praktische Folge wäre eine stärkere Außenkontrolle der nationalen Haushalte. Der Bundestag und die Parlamente der Euro-Partner müssten die EU-Kommission bei der Etatplanung als Mitspieler mit einbeziehen. Brüssel hätte eine Handhabe, die Belange des gesamten Währungsverbunds zur Geltung zu bringen, auch wenn die letzte Entscheidung bei den nationalen Volksvertretungen bleibt. Dass muss nicht notwendigerweise zu einem Demokratieverlust führen, vorausgesetzt, die Kommission lässt sich nicht zum Handlanger einzelner Mitgliedsstaaten machen. Eine Instanz kommt freilich in dem ganzen Szenario nicht vor: das Europaparlament. Und da wird die Sache problematisch. Schon die bestehende EU ist nämlich demokratisch unterbelichtet. Abhilfe geht nicht ohne Stärkung ihrer eigenen Volksvertretung, des Straßburger Parlaments. Mehr Disziplin in Euro-Land kann man vielleicht anders organisieren, eine demokratischere Union nicht.
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