Neue Westfälische (Bielefeld): Wer bezahlt was? Farbe bekennen ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN
Bielefeld (ots)
Ein Experiment war 2005 zu besichtigen: Angela Merkel ging damals mit einem Steuererhöhungsversprechen in die Bundestagswahl. Um zwei Prozent sollte die Mehrwertsteuer erhöht werden. Die Große Koalition beschloss dann sogar drei Prozent, aber das steht auf einem anderen Blatt. Immerhin war der Beweis erbracht worden, dass Wahlen gewonnen werden können, wenn Politiker vorher die Wahrheit sagen. 2013 sind wir um eine Finanz- und eine Eurokrise klüger. Die Bürger wissen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit neue Belastungen zu erwarten sind. Sie möchten vor allem erfahren, ob es einigermaßen gerecht zugeht. Denn es wäre klug, vor allem die zu belasten, die in der Einkommensverteilung ganz oben angesiedelt sind - und nicht wieder gezielt die Mittelschicht in den finanziellen Schwitzkasten zu nehmen. Auf deren Rücken ist schon die Einheit finanziert worden und auch die Finanzkrise. Nach einer kürzlich von der Bertelsmann-Stiftung herausgegebenen Studie hat sich seit 1997 der Anteil der Mittelschicht an der Bevölkerung um 5,5 Millionen Menschen verringert. Die SPD hat den aktuellen Wahlkampf mit zwei Thesen begonnen: Es sollen vor allem die Wohlhabenden belastet werden, und es wird nichts versprochen, was nicht zu finanzieren ist. Deshalb soll der Spitzensteuersatz auch nur für die obere Etage der Gutverdiener erhöht werden, und in diesem Geiste sollen auch die Erbschaftssteuer reformiert und eine Vermögenssteuer eingeführt werden. Aber mit allen Erhöhungen, die die Sozialdemokraten auf ihrem Wahlkampfzettel haben, sind die Versprechen nicht annähernd zu finanzieren, die seit einiger Zeit mit vermehrter Schlagzahl aus dem Willy-Brandt-Haus purzeln. Allein die Rentenreform zum Beispiel könnte bis zu 90 Milliarden Euro kosten. Generalsekretärin Andrea Nahles schlägt zudem eine 30-Stunden-Woche für junge Eltern vor. Parteivize Manuela Schwesig will das Kindergeld für Niedrigverdiener erhöhen, und für die Bildung will die SPD pro Jahr 20 Milliarden Euro mehr ausgeben. Das mag alles löblich sein. Doch wo soll das Geld herkommen? Der SPD-Kanzlerkandidat, der sehr gut rechnen kann, beschränkt sich bisher darauf, alle Vorschläge abzunicken. Vielleicht kommt man wieder auf die Mehrwertsteuer zurück. So kalkuliert wohl Schwarz-Gelb: Angeblich will Finanzminister Wolfgang Schäuble den ermäßigten Mehrwertsteuersatz ganz einkassieren. Das brächte dem Staat auf einen Schlag 23 Milliarden Euro mehr ein. Doch die Bundesregierung leugnet das und will von einer umfangreichen Giftliste, die unter anderem auch einen Gesundheits-Soli vorsieht, nichts wissen. Union und FDP wollen lieber gegen die Steuerpläne von Rot und Grün agitieren, als die eigenen Vorstellungen auf den Tisch zu legen. Der Bürger will aber von der Politik die Wahrheit wissen: Was soll wie finanziert werden, und wer bezahlt? Die Menschen ernst zu nehmen bedeutet, im Wahlkampf Farbe zu bekennen. So viel Mut sollten die Parteien aufbringen.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de
Original content of: Neue Westfälische (Bielefeld), transmitted by news aktuell