Neue Westfälische (Bielefeld): Ex-Umweltminister Trittin: China entscheidet über das Ende des Verbrennungsmotors
Bielefeld (ots)
Ex-Umweltminister Jürgen Trittin sieht das Ende des Verbrennungsmotors nahen. "Das hat China entschieden. China will keine Verbrennungsmotoren mehr, also muss die deutsche Autoindustrie handeln", sagt der Grünen-Politiker im Gespräch mit der in Bielefeld erscheinenden Neuen Westfälischen (Montagausgabe). Auf dem Weltmarkt seien schon bald gar keine Benzin- und Dieselfahrzeuge mehr zu verkaufen. "Wenn die Autobauer früher auf die Grünen gehört hätten, säßen sie heute nicht so in der Patsche", sagt der 65-jährige Bundestagsabgeordnete dem Blatt.
Herr Trittin, sensationelle Umfragewerte, ordentliche Wahlergebnisse im Osten. Wie beschreiben Sie die aktuelle Lage der Grünen? JÜRGEN TRITTIN: Vorsichtig optimistisch. Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass wir bei der bundesweiten Europawahl drei Millionen Wähler mehr mobilisiert haben, als beim besten Wahlergebnis bis dahin. Wir haben die Zahl der Wählerinnen und Wähler im Osten verdoppelt. Woran liegt das? TRITTIN: Da gibt es mehrere Gründe: Es liegt am Versagen der Großen Koalition beim Klimaschutz. Nur acht Prozent der Menschen trauen ihr zu, das Problem zu lösen. Gleichzeitig stehen die Grünen für genau dieses Thema. Und: Wir haben uns mit Robert Habeck und Annalena Baerbock glaubwürdig personell erneuert. Wie gehen die Grünen mit den Erfolgen um? TRITTIN: Wir haben eine neue Verantwortung. Wir können uns nicht mehr, wie einige lange geglaubt haben, darauf verlassen, dass wir immer nur der kleine Partner sind, der ein Segment abdeckt und die Verantwortung für anderes bei den Größeren lässt. Das heißt: Wir müssen in der Lage sein, für alle Bereiche von Politik Verantwortung zu übernehmen. Schon Angst davor? TRITTIN: Überhaupt nicht. Die Grünen haben in schwierigen Situationen gezeigt, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Dadurch haben wir in den ersten beiden Jahren der rot-grünen Koalition 1998/99 die Hälfte unserer Wähler verloren. Das war hart, aber wir haben es durchgestanden. Diesen Mut haben nicht alle. Und wir haben auch später Entscheidungen gefällt, die uns nicht leicht gefallen sind. Meinen Sie die Verhandlungen zur Jamaika-Koalition 2017? TRITTIN: Ja, wir mussten mit drei Parteien verhandeln, die in vielen Fragen das Gegenteil von uns wollten. Da kommt man in die paradoxe Situation, dass uns dabei die CDU noch am nächsten war. Wir haben verhandelt, weil wir nicht wollten, dass mit der AfD Antidemokraten Einfluss auf die Bundesregierung bekommen. Klar ist also, dass wir Grünen liefern können. Es darf kein Ressort mehr geben, für das sich die Grünen unzuständig erklären. Das gilt für den Bund, die Länder und die Kommunen. Haben Sie denn überhaupt genug qualifiziertes Personal für so viel Verantwortung? TRITTIN: Die Grünen müssen sich nicht verstecken, was die Qualität ihrer Mandatsträger betrifft. Und die Mitgliederzahl steigt ständig. Der Erfolg verpflichtet die Grünen auch, im Kommunalwahlkampf überall Bürgermeister- und Oberbürgermeisterkandidaten aufzustellen? TRITTIN: Ja, das halte ich für richtig - und unumgänglich. Was kann den Grünen im Blick auf die nächste Bundestagswahl noch schaden? TRITTIN: Ach spekulieren bringt doch nichts. Wir sollten weiter an unserer Geschlossenheit festhalten und an unseren Grundwerten. Alles andere sieht man dann. Die Verhältnisse in der Welt sind so unsicher, dass ich keine Prognosen geben möchte. Wie beherrschen wir die existenzielle Klima-Krise und wie schaffen wir es, Europa strategisch souverän zu machen im neuen Kalten Wirtschaftskrieg? Das ist doch die zentrale Frage. Europa darf nicht zum Spielball dieser Auseinandersetzung werden. Der Handelskrieg USA-China hat unmittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und auf Arbeitsplätze. Gleiches gilt für unser Geld angesichts der Niedrigzinsen. Die sind im Prinzip richtig, müssten aber von massiven Investitionen begleitet werden. Nur dann macht der niedrige Zinssatz Sinn. An der Stelle versagt nicht Europa, sondern die Bundesregierung. Deutschland blockiert massiv alle Vorschläge in der EU mehr zu investieren. Wir Grünen wollen 35 Milliarden Euro jedes Jahr investieren. Das verhindert Schulden für künftige Generationen. Ups, Sie sprechen freiwillig von Wirtschaft und Investitionen? Eigentlich sind die Grünen doch eine Ein-Themen-Partei? Umwelt- und Klimaschutz. Was tun Sie z.B. Für die Mittelständler und Familienunternehmen? TRITTIN: Ökologie und Ökonomie gehören untrennbar zusammen. Wir wollen mehr Gerechtigkeit für den Mittelstand. Wir wollen, dass die großen Internetfirmen in Deutschland Steuern zahlen. Genauso wie der deutsche Mittelständler. Jeder muss nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert werden. Die Bundesregierung hat aber in der EU verhindert, dass Google, Amazon & Co. in Europa angemessen besteuert werden. Wir streiten dafür, dass die Großen gegenüber den Kleinen nicht begünstigt werden. Außerdem kommen unsere 35 Milliarden Investitionen dem Mittelstand massiv zu Gute. OK, die grünen Wirtschaftsansätze habe ich verstanden. Beim Thema Klima kommen Sie als Verbotspartei daher: SUV genauso wie der Verbrennungsmotor insgesamt, Flugpreise rauf, am liebsten würden Sie den Menschen Urlaub in der Lüneburger Heide vorschreiben. TRITTIN: Ich schreibe niemandem etwas vor, aber ich bin dafür die Wahrheit zu sagen. Die Frage des Endes des Verbrennungsmotors ist doch längst geklärt. Das hat China entschieden. China will keine Verbrennungsmotoren mehr, also muss die deutsche Autoindustrie handeln. Nicht wegen der Grünen. Sondern weil sie auf dem Weltmarkt bald gar keine Benzin- und Dieselautos mehr verkaufen können. Wenn die Autobauer früher auf die Grünen gehört hätten, säßen sie heute nicht so in der Patsche. Wir wollen auch keine Verbote, sondern ein Bonus-Malus-System. Sind Sie persönlich optimistisch, dass die ganzen Wenden - Mobilität, Energie, Klima, Bewusstsein - zu schaffen sind und die Menschen folgen können? TRITTIN: Ja, es ist zu schaffen - am schnellsten natürlich mit Grünen an der Regierung. (lacht) Dann müssen die Grünen ja flugs einen eigenen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin aufstellen. TRITTIN: Ob einer oder eine der beiden Spitzenkandidaten auch als Kanzlerkandidat antritt, wird man sehen, dafür muss klar sein, wann die Wahlen sind und wie die Ausgangslage zu diesem Zeitpunkt ist. Werden wir zu diesem Zeitpunkt mit der CDU darum ringen stärkste Kraft zu werden? Annalena Baerbock und Robert Habeck werden uns dann einen Vorschlag präsentieren und ich bin sicher, dass der dann auch eine Mehrheit findet. Wenn es nötig wird, werden wir einen Kandidaten haben - oder eine Kandidatin. Robert Habeck kommt schnöselig-sympathisch rüber, Annalena Baerbock eher klug, aber etwas distanziert. Was ist wichtiger für einen erfolgreichen Grünen-Wahlkampf? Wer steht Ihnen näher? TRITTIN: Ach. Da wird es einen Vorschlag der beiden Parteivorsitzenden geben und der wird gut sein. So lammfromm kennt man die Grünen gar nicht. TRITTIN: Die Grünen tragen ihre Parteivorsitzenden. Wenn es nötig wird, zum Wahltermin ernsthaft mit einem Kanzlerkandidaten anzutreten, werden die beiden einen Vorschlag machen und wir werden das sicher mittragen. Das Interview führte Carsten Heil
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