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Industrie: EU-Stoff- und Chemikalienpolitik droht Deutschland in Rezession zu stürzen

Berlin (ots)

Die neue Stoff- und Chemikalienpolitik der EU wird
gravierende Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben. Je nach
Ausgestaltung der Verordnungen, für die die Kommission in nächster
Zeit Entwürfe vorlegen will, drohen der deutschen Wirtschaft Verluste
von 150.000 Arbeitsplätzen, im günstigsten Fall bis hin zu 2,35
Millionen für den Fall, dass Überregulierungen des bisherigen
Chemikalienrechts zur Grundlage des neuen Regelwerks werden.
Das sind die wesentlichen Ergebnisse einer Studie, die der
Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit Unterstützung einer
Reihe von Mitgliedsverbänden von der Unternehmensberatung Arthur D.
Little erarbeiten ließ. Die Industrie-Studie untersucht die
ökonomischen Auswirkungen der Umsetzung der EU-Stoffpolitik auf die
deutsche Wirtschaft. Ziel der EU-Stoffpolitik ist, die meisten
derzeit und zukünftig hergestellten Stoffe und Chemikalien einem
umfassenden Verfahren der Registrierung, Prüfung und Risikobewertung
zu unterziehen. Für besonders kritische Stoffe ist ein eigenes
Zulassungsverfahren vorgesehen. Außerdem sollen die Informationen,
die der Öffentlichkeit über Stoffeigenschaften zur Verfügung stehen,
erheblich ausgedehnt werden. Dies ist Gegenstand eines Weißbuchs der
Kommission vom Februar 2001.
Die Industrie-Studie entwickelt auf Basis von Expertenbefragungen
drei Szenarien, die mögliche Ausgestaltungen der geplanten
Verordnungen beschreiben. Danach hängen die Auswirkungen für die
Wirtschaft entscheidend davon ab, welche zusätzlichen Kosten den
Unternehmen künftig für das Registrieren und Zulassen von Stoffen
entstehen. Sollten sich durch die neuen Regelungen Stoffe für
spezielle und innovative Verwendungen zu stark verteuern, könnten
diese in Europa nicht mehr hergestellt oder importiert werden,
befürchtet der BDI. Für Bereiche mit sehr kurzen Innovationszyklen,
etwa im Elektronikbereich, kommt es außerdem darauf an, welche
Zeitverzögerungen sich aus diesen neuen Verfahren beim Markteintritt
neuer Produkte ergeben, so die Studie. Die besonders bürokratischen
Zulassungsverfahren für hochkritische Stoffe werden wie eine
zusätzliche Innovationsbremse wirken. Darüber hinaus ist die
angedachte Pflicht zur weitgehenden Offenlegung von Informationen
über die Eigenschaften von Stoffen dort kritisch, wo es um Geschäfts-
und Betriebsgeheimnisse geht.
Schon bei einem optimistischen Szenario liegt der Verlust der
deutschen Wirtschaft während der Einführungs- und Umsetzungsphase bei
0,4 Prozent der Bruttowertschöpfung. Das würde bereits etwa 150.000
Arbeitsplätze kosten. Sollten die vorab erhobenen Schätzungen der
Kommission zutreffen, wird Deutschland 2,4 Prozent seiner
Bruttowertschöpfung und rund 900.000 Arbeitsplätze einbüßen. Werden
jedoch die bisherigen Erfahrungen mit der Stoffbewertung und der
Anmeldung zugrundegelegt, beläuft sich der Verlust an
Bruttowertschöpfung auf 6,4 Prozent. Dann würde Deutschland sogar
2,35 Millionen Arbeitsplätze verlieren.
Der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI)
e. V. kritisiert vor allem den entstehenden zeitlichen Mehraufwand
durch die Bewertung und die Registrierung von Stoffen und
Zubereitungen. "Die geplante Stoffpolitik der EU ist für die
Elektroindustrie ein durch nichts zu kompensierendes
Innovationshindernis", sagte Dr. Wolfgang Bloch, Mitglied im
ZVEI-Umweltausschuss und bei Infineon für den Umweltschutz zuständig.
"Wenn die Zulassung eines neuen Fotolackes für die Chipherstellung
nur sechs Monate dauert, hinken die europäischen Halbleiterhersteller
etwa eine Produktgeneration hinter dem Weltmarkt hinterher. Dies ist
eine massive Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der deutschen und
europäischen Industrie. Darüber hinaus bereitet uns das geplante
Transparenzgebot große Sorgen", so Bloch. Die bisherige Praxis zeige,
dass amerikanische und japanische Hersteller von Spezialchemikalien
nicht bereit seien, ihre Zubereitungen offen zu legen. Eher würden
sie auf die Belieferung verzichten, um ihr Know-how nicht
preiszugeben.
Nach einer Umfrage des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI)
werden etwa 20 bis 40 Prozent der Chemikalien, deren Produktion sich
auf weniger als 100 Tonnen pro Jahr summiert, aufgrund der hohen
Registrierungskosten unrentabel und vom Markt verschwinden. Als
‚dramatisch' stuft Jochen Rudolph, Mitglied im VCI-Ausschuss Technik
und Umwelt und bei der Degussa AG für Umwelt und Sicherheit
verantwortlich, die Auswirkungen des Weißbuches auf die rund 1.750
mittelständischen Betriebe in der chemischen Industrie in Deutschland
ein. "Diese Betriebe sind überwiegend als Weiterverarbeiter tätig und
es muss damit gerechnet werden, dass aufgrund der Registrierkosten in
Extremfällen bis zu zwei Drittel der Produkte unwirtschaftlich
werden", so Rudolph.
Der BDI und die beteiligten Mitgliedsverbände nehmen die
Ergebnisse der Studie zum Anlass, die Europäische Kommission sowie
Rat und Parlament aufzufordern, bei der Umsetzung der Ideen des
Weißbuches die Auswirkungen auf die Wirtschaft, insbesondere auch auf
die kleinen und mittleren Unternehmen, besonders zu berücksichtigen.
Aus Sicht des BDI sind die Ziele des Weißbuches, insbesondere ein
hohes Schutzniveau für Umwelt und Verbraucher, auch ohne massive neue
bürokratische Verfahren zu erreichen. Solche bürokratischen Verfahren
schaden vor allem auch der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer
Unternehmen, ohne einen wirklichen Nutzen für den Umweltschutz zu
erzielen.
Rückfragen:
Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.
Mitgliedsverband der UNICE
Postanschrift
11053 Berlin
Telekontakte
Tel.: (030) 2028-1450
Fax: (030) 2028-2450
Internet http://www.bdi-online.de
E-Mail  a.schultheiss@bdi-online.de

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